Alles eine Frage der Perspektive

Jürgen Pagel

Alles eine Frage der Perspektive

Der Abstand und der Standort machen bei der Fotografie die Perspektive aus. Beides verändert die Sichtweise auf Dein Motiv und sind entscheidend für die Bildwirkung.

Häufig sieht man Bilder, die aus Augenhöhe aufgenommen worden sind. Das ist die „realistische“ Sichtweise und für Dokumentationen und Reportagen sicher auch eine Möglichkeit, das Motiv so darzustellen, wie es von jedem Betrachter auf den ersten Blick empfunden wird.


Perspektive bezieht sich jedoch nicht nur auf den Abstand (Nah oder Fern) und den Standort (Hoch oder Tief), sondern auch auf die Fähigkeit, dem Bild Tiefe zu verleihen. Dies gelingt am besten, wenn das Motiv im Kontext der Szenerie dargestellt wird, so dass der Betrachter einen Vergleich zu den Größenverhältnissen bekommt.

Dabei muss ein Bild nicht zwingend eine Geschichte erzählen. Auch wenn dies von „alten“ Lehrern der Fotografie gefordert wird, lässt sich das jedoch nicht immer konsequent umsetzen. Ein Bild mit einer Bank in einem Park kann eine großartige Wirkung auf den Betrachter haben. Aber eine Geschichte dahinter wird niemand vermuten wollen und es gibt sie auch nicht – Du hast einfach eine Parkbank fotografiert - vor großen, belaubten Bäumen und mit einer exzellenten Bildbearbeitung. Aber es ist und bleibt eine Parkbank.


Wichtig: Keine der genannten Perspektiven ist richtig oder falsch. Es bleibt jedem Fotografen selbst überlassen, welche Perspektive er wählt. Es muss uns nur bewusst sein, dass jede Ansicht auf unser Motiv eine entsprechende Wirkung entfaltet. Auch die sogenannten Regeln der Perspektive (z.B. Models immer auf Augenhöhe, Landschaften niemals im Hochformat oder Hunde und Katzen immer auf Augenhöhe) sind gut gemeint, aber müssen nicht zwingend eingehalten werden. Allein der Wechsel eines Formats in Verbindung mit einer eher ungewöhnlichen Perspektive kann ein echter Hingucker sein.


Welche Perspektiven gibt es?



1. Die Normalperspektive

Dabei fotografieren wir auf Augenhöhe unser Motiv. Diese Perspektive finden wir beispielsweise bei vielen Portraitaufnahmen und Fashion-Shootings.  Auch Tieraufnahmen werden gerne auf Augenhöhe gemacht. Wobei der Begriff „Augenhöhe“ bei einem Hund oder einer Katze eine vollkommen neue Bedeutung bekommt. Hierbei ist „Augenhöhe“ nämlich auf der Höhe der Augen des Tieres zu verstehen.


Warum Normalperspektive? Die Normalperspektive zeigt die Welt so, wie wir sie von unserem Standpunkt aus wahrnehmen – sozusagen neutral. Und sie ist - nebenbei bemerkt - sehr bequem. Wir müssen uns nicht verbiegen, machen uns nicht die Hose schmutzig.
Die Normalperspektive betont bei Portraitshootings das Model, bei Fashion lenkt keine andere Perspektive von dem ab, um was es geht – die Bekleidung.


2. Die Froschperspektive

Bei der Froschperspektive fotografieren wir von unten nach oben, also unterhalb der Augenhöhe. Die Froschperspektive macht kleine Dinge groß. Ein Haus von unten nach oben fotografiert, lässt dieses wie einen Wolkenkratzer wirken. Eine Person aus der Froschperspektive fotografiert, lässt die Beine im Verhältnis zum weiter entfernten Oberkörper sehr lang und dominant wirken. Wir nehmen dabei eine perspektivische Verzerrung gerne in Kauf. Die Bildwirkung ist eine vollkommen andere, als wenn wir das Motiv auf Augenhöhe fotografieren.


3. Die Vogelperspektive

Bei der Vogelperspektive betrachten wir unser Motiv von oben nach unten, also oberhalb der Augenhöhe. Einem Motiv direkt von oben herab fotografiert, fehlt die dreidimensionale Bildwirkung. Dennoch kann das gerade bei Landschaften (Drohnenfotografie) großartig wirken. Sobald wir den Bildwinkel geringfügig variieren, ergibt sich die beliebte Dreidimensionalität. Die Vogelperspektive oder Obersicht vermittelt einen Gesamteindruck. Sie wird gerne als Übersichtsaufnahme in der Landschaftsfotografie genutzt. Aber auch als Teil einer Bildreihe hat sie ihre Berechtigung.


4. Die Kreativperspektive

Dabei wird beispielsweise der schiefe Turm von Pisa durch eine von Bildwinkel, Abstand und Perspektive (meist Froschperspektive) von einer Person gestützt. Oder zwei Personen bilden das Motiv, wobei eine Person deutlich weiter entfernt ist und nach oben schaut, was dann auf der Fotografie so ausschaut, als ob ein sehr kleiner Mensch zu einer großen Person aufblickt. Die kreative Perspektive finden wir allerdings selten in der professionellen Auftragsfotografie (Ausnahme Werbung).


5. Die Totale

Die Totale oder die Panoramaperspektive vermittelt einen Gesamtüberblick ohne störende Elemente. Sie wird gerne im Panorama- oder im 16:9- oder im 2,4:1-Format präsentiert. Eine besondere Wirkung entfaltet die Wirkung entfaltet die Totale bei Landschaften, die durch sie weit und unendlich wirken.


6. Die Halbtotale

Die Halbtotale wird auch als Medium Close Up bezeichnet. Hierbei wird das Motiv in einen Kontext zum Hintergrund gestellt. Der Blick wird auf das Hauptmotiv gelenkt, allerdings bleiben große Teile des Hintergrunds erhalten, so dass der Betrachter einen räumlichen und inhaltlichen Bezug zum Motiv herstellen kann – eine beliebte Perspektive in der Reportage- oder Dokumentationsfotografie.


7. Die Großaufnahme

Bei der Großaufnahme oder der Makrofotografie fotografiere wir das Hauptmotiv Rahmenfüllend. Alles Unwesentliche verschwindet im Bokeh. Für eine Großaufnahme bedarf es nicht zwingend eines Makroobjektivs. Sie gelingt auch mit „Normalobjektiven“ – vorausgesetzt die Naheinstellgrenze lässt das zu.

So ist auch Abbildung eines Gesichts als Großaufnahme zu betrachten.


8. Die Hüftperspektive

Der „Schuss aus der Hüfte“ ist eine beliebte Perspektivwahl in der Streetphotography. Dabei wird die Kamera auf Höhe des Bauchnabels oder geringfügig darunter gehalten und ohne auf das Display zu schauen ausgelöst. Besonders gut gelingt das mit geschlossener Blende (f/8 bis f/11) und einer damit verbundenen hohen Schärfentiefe. Besonders eignen sich dazu manuell zu fokussierende Objektive, die auf nahezu unendlich eingestellt werden. Dabei ist fast jeder „Schuss“ ein Treffer und ergibt spannende Ansichten, so ganz anders als auf Augenhöhe. Vorteil: Uns bleibt die gebückte Haltung erspart.


Fazit

Alle Perspektiven haben ihre Vor- und Nachteile und natürlich auch ihren berechtigten Einsatzzweck. Eine nüchterne Reportage über Tagesgeschehen durch stark wechselnde Perspektiven bereichern zu wollen, ist sehr wahrscheinlich der falsche Ansatz. Diese Perspektiv-Varianten jedoch als kreatives Element zu nutzen, ist ein sehr guter Weg, Fotografie interessant und spannend zu gestalten und bietet eine willkommene Abwechslung im sonstigen fotografischen Einheitsbrei.


©2024 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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