Keine Lust zum Fotografieren - die sechs Stadien der Fotografie

Jürgen Pagel

Keine Lust zum Fotografieren? Dann lese das hier.

Na super. Da haben wir den Salat. Keinen Bock. Keinen Bock auf Fotografie. Schlimm denkst du? Keineswegs. Sehr wahrscheinlich bist du in dem Stadium angekommen, in dem deine Bilder einen gewissen Reifegrad erreicht haben, du besser geworden bist und du einfach neue Herausforderungen brauchst, um in dem Lernprozess voranzukommen.
Die sechs Stadien der Fotografie - ein Erklärungsversuch.

Stadium 1
Du beginnst mit der Fotografie, findest diese ganzen Regeln und Vorgaben richtig doof und fotografierst überwiegend im Automatikmodus. Dir gefallen deine Bilder. Nur anderen gefallen sie eher nicht. Das stört dich aber nicht. Schließlich bist du Anfänger. Du darfst schlechte Bilder machen oder solche, die dir gefallen, jedoch anderen nicht.

Stadium 2
Du merkst, dass dich die Fotografie im Automatikmodus nicht wirklich weiterbringt. Du hast zu wenig Kontrolle über deine Kamera bzw. deine Ausrüstung. Der erste Frust setzt ein und du kommst nicht umhin, dich mit der Materie intensiver zu befassen. Spätestens jetzt greifst du zur Bedienungsanleitung, schaust dir ein paar YouTube-Videos von bekannten Fotografen und Filmern an und stellst fest, dass mit der richtigen Kenntnis viel mehr aus der Fotografie herauszuholen ist, als du zu Beginn gedacht hast. Nach dem ersten Frust folgt ein Motivationsschub. Jetzt entscheidet sich, ob du in das nächste Stadium eintrittst und dich mit den Modi deiner Kamera befasst, beginnst du mit dem Weißabgleich zu experimentieren, deine Bilder zu bearbeiten und nicht ständig mit dem Argument kommst „ich bearbeite meine Bilder nie, weil das natürlich wirken soll, so wie ich es gesehen habe“ oder die folgenden Stadien nicht erreichen wirst.
Übrigens, viele bleiben in dem Stadium 2 hängen. Das erkennst du an den Antworten in Foren, in denen sie ihre Bilder posten. Auf Kritik kommt stets „ich habe das absichtlich so gemacht“, „ich wollte das so“, „mir gefällt es“ und „wenn es dir nicht gefällt, dann kannst du ja weiterscrollen“.

Stadium 3
Du beginnst den Sinn der Fotografie zu verstehen. Fotografie hatte nie die Absicht etwas so darzustellen, wie es wirklich ist. Das wäre langweilig. Während du fotografierst, hast du schon ein fertiges Bild im Kopf und du kannst dir vorstellen, wie es fertig bearbeitet aussehen könnte. Du wirst wählerischer, gehst gezielt auf Motivsuche, fotografierst in RAW und bearbeitest deine Bilder meistens zu viel. Zu wenig Lichter, zu viel Kontrast, zu viel Klarheit, zu viel Dunst entfernen, zu viel Dynamik und zu viel Sättigung. Der Weg jedoch ist der Richtige. Du entwickelst ein fotografisches Auge, hast deine Kamera meistens dabei und dennoch fotografierst du nicht mehr – wie in Stadium 2 – jeden Scheiß, weil du wählerischer wirst. Dennoch Qualität geht hierbei über Qualität. Du MUSST viele Bilder machen, vieles verwerfen und neu fotografieren, damit du dein Auge weiter schulst und immer besser wirst.
Du reduzierst deine Bearbeitungsintensität, wirst dezenter und entwickelst deinen eigenen Look. Bestimmten Objektiven gibst du den Vorzug und das solltest du getrost so hinnehmen. Bei mir war es das 50mm f/1.2 bis f/1.8 (an APS-C 75mm). Bei anderen ist es das 35er, bei wiederum anderen ein 23er. Das ist DEIN Weg. Jede Brennweite erzeugt einen gewissen Look und der gefällt nicht nur dir, sondern zwischenzeitlich auch anderen. Und du hast endlich verstanden, dass nicht die Kamera entscheidend ist, sondern das Objektiv.

Stadium 4
Du legst Wert auf Perfektion. Nur noch wenige Bilder gehen unbearbeitet durch. Nach dem Studium vieler Bücher und/ oder Videos hast du deinen Workflow in Lightroom und Photoshop verfeinert. Dennoch haderst du immer wieder mit den Einstellungen und bist nicht so richtig zufrieden. Egal. Weitermachen. Üben, üben, üben.
Du nimmst dir bestimmte Themen vor. Heute alles, was Rot ist. Morgen muss das Runde ins Eckige. Nächste Woche werden nur Frauen mit roten Regenschirmen fotografiert und übernächste Woche nur Männer mit Eis am Stiel. Deine Kreativität kommt in Schwung und erste Gedanken tauchen auf, das Fotografieren als Nebenberuf auszuüben.
Dir beginnt es egal zu werden, ob der Autofokus ein bisschen schneller oder langsamer ist. In diesem Stadium kannst du verweilen, bis deine Bilder immer besser werden und du beginnst, deinen Lightroom-Katalog zu durchforsten, um festzustellen, dass du WIRKLICH besser geworden bist. Und du nimmst dir das eine oder andere Bild vor, um es in den Ausgangszustand zu versetzen und neu zu bearbeiten – in deinem dir eigenen Stil, der sich zwischenzeitlich entwickelt hat.

Stadium 5
Du erledigst erste Projekt- und Auftragsarbeiten. Du fotografierst deine erste Hochzeit. Eigentlich immer noch im Stadium 4 verhaftet, zeigen sich erste Ermüdungserscheinungen. Es kommen Selbstzweifel, ob das alles richtig ist, was du machst und du denkst ab und zu darüber nach, die Fotografie an den Nagel zu hängen. Nicht wenige geben in diesem Stadium tatsächlich auf. Keine richtige Lust mehr, fehlende Motivation, an deinem Ego nagende Zweifel – alles Anzeichen dafür, dass du das 5. Stadium erreicht hast. Du fotografierst seltener, weil du vorher schon weißt, dass dieses Motiv nicht dankbar ist und sich daraus einfach zu wenig bis gar nichts Interessantes machen lässt. Deute das als Sieg und nicht als Niederlage. Du hast endlich verstanden, um was es geht. 
Du schaust dir Bilder der großen Meister an und denkst „komisch, das sieht gar nicht so großartig aus“ oder „warum machen die darum so einen großen Hype“. 
Du befasst dich mit ernsteren Themen wie „Müll auf der Straße“, „Menschen am Abgrund“, Straßenarbeiter bei 35 Grad im Schatten“ und so weiter. Du kennst zwischenzeitlich deine Kamera im Schlaf, hast vielleicht sogar ein oder zwei Backup-Kameras des gleichen Herstellers.
Lass‘ dich nicht unterkriegen. Setze dir Aufgaben für jeden Tag, jede Woche oder jeden Monat. Nimm deine Kamera konsequent mit und du wirst Dinge entdecken, die sieht sonst niemand. Lass‘ dich nicht beirren und dir auch nicht von deiner Frau, Freundin oder deinem Mann weismachen, dass man damit kein Geld verdienen kann und alles einfach nur ein superteures Hobby ist. Ja, es ist teuer. Und doch, man kann damit Geld verdienen und ja, es macht Spaß.
Du siegst über die Zweifel und fängst immer wieder von vorne an. Du wirst immer besser und irgendwann hast du 50.000 und mehr Bilder – Zeit, einmal mehr über eine kleine Ausstellung nachzudenken.
Du bist noch weit entfernt von den großen Namen der Zunft. Aber du hast deinen Stil entwickelt (keine Sorge, dass ändert sich wieder) und befindest dich auf einem sehr guten Weg. Deine Bilder erregen Aufmerksamkeit (nicht in Facebook oder Instagram – das ist vollkommen unbedeutend und wird vollkommen überbewertet) und Interesse. Du bist an einem Punkt angekommen, an dem dir die Bearbeitung leichtfällt, du viele Finessen der Bildbearbeitungsprogramme kennst (um Photoshop vollumfänglich zu erlernen, reicht wahrscheinlich ein Leben nicht aus) und auch aus einem relativ schlechten Ausgangsmaterial noch etwas Brauchbares zu zaubern. Du kennst alle Regeln und kannst sie geflissentlich ignorieren. Du erkennst auf der Straße, im Wald und im Feld sofort, welche Situation lohnt und welche nicht. Du kannst mit jedem Objektiv sofort deine Bilder machen, hast im Gefühl, wie weit oder wie nah du deine Distanz zum Motiv wählen musst und bist sicher im Umgang mit künstlichen Lichtquellen. Es ist dir also egal, ob es regnet, schneit, dunkel oder hell ist – du kommst damit zurecht.
Vorbei sind die Zeiten, in denen zwischen zwölf und drei der Fotograf frei hat. Alles machbar.

Stadium 6
Du bist Profi und verdienst mit der Fotografie bzw. der Filmerei richtig gutes Geld. Mindestens 120.000 Euro Umsatz pro Jahr sind garantiert.

Was soll danach noch kommen?

An alle, die das anzweifeln:
  • Es läuft genau so oder zumindest sehr ähnlich.
  • Jedes dieser Stadien ist nicht in Stein gemeißelt und durchaus flexibel.
  • Jedes Stadium kennt Phasen der Nichteinordnung und jedes Stadium kennt auch Phasen, in denen man keinen Bock (mehr) hat.
  • Es läuft nicht immer rund und manchmal muss man einen Schritt zu zurückgehen, weil man das Stadium nicht vollständig durchlaufen hat oder weil es Ereignisse im Leben gibt, die einen Fortschritt nicht zulassen. Ist halt so aber keineswegs schlimm.
  • Wer im Stadium 2 hängenbleibt, tut gut daran, seinen Geldbeutel zu verschließen. Mehr Investition bringt nichts und macht es nicht besser, denn ab Stadium drei wird es teuer. Nicht wegen den Kameras, aber wegen der Objektive. Auch wenn du dich auf ein oder zwei Objektive fokussierst, willst du von denen die Besten. Und vielleicht doch eine längere Brennweite. Man weiß nie, was einem noch vor die Linse läuft.
  • Wer das Stadium 5 erreicht hat, darf sich nicht zurücklehnen. Fotografie erlernt man nie vollständig und richtig. Es gibt immer Neues, du lernst niemals aus. Das zu erkennen ist der erste Schritt in Richtung Stadium 6.
  • Ich bin übrigens gerade im Stadium 5 und arbeite fleißig am Übergang zum Stadium 6.

©2024 Jürgen Pagel | Neunzehn58

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