REDUCE TO THE MAX

Jürgen Pagel

Alles viel zu kompliziert

Immer wieder begegnet einem der Satz: „Das ist mir zu kompliziert“. Nun lässt sich das in vielerlei Hinsicht deuten. Zu kompliziert, weil man es nicht verstehen will. Zu kompliziert, weil man keine Zeit hat, sich mit dem Komplizierten (nicht Komplexen) auseinanderzusetzen. Zu kompliziert, weil man mit dem modernen Zeugs nichts zu tun haben will, weil zu alt oder zu jung. Was auch immer. Ihnen fallen sicher noch mehr Gründe ein, warum etwas zu kompliziert ist.

Aber eines ist Fakt: Wenn Sie erst stundenlang eine Bedienungsanleitung lesen müssen, um den ersten Knopf oder Schalter sinnbehaftet zu betätigen, ist es nicht nur zu spät, sondern tatsächlich zu kompliziert.

Und jetzt sind wir bei der Art der heutigen Fotografie. Die Kameras werden tatsächlich immer komplizierter. Hinter jedem Regler, jedem Knopf verbergen sich mindestens zwei, meistens deutlich mehr Funktionen. Die Kameramenüs sind derartig umfangreich geworden, dass ein YouTuber namens Nick Schreder vier 50minütige Videos zu den Einstellungen der Fujifilm X-T4 abgedreht hat – den Kanal hat er allerdings zum Jahreswechsel 2022/23 leider eingestellt.
Und solcher Tutorials gibt es unzählige im Netz, zuzüglich einer Vielzahl an blätterbehafteter Literatur zu genau dieser Kamera, die unendlich Spaß macht und die ich keineswegs missen möchte. Aber selbst nach zwei Jahren entdecke ich immer noch neue Funktionen.

Aus Sicht der Kamerahersteller kann ich das verstehen. Je mehr Spezifikationen, je mehr Knöpfe und Details, umso teurer lässt sich die Kamera verkaufen. Und jetzt legen die Objektivhersteller noch einmal eines drauf und versehen ihre Schätzchen mit einer Vielzahl an Schaltern, die zu dem ganzen Gedöns an der Kamera noch hinzukommen.
Ich für meinen Teil bin echter Technik-Nerd, aber selbst mir wird das langsam zu viel und ich bin mir keineswegs mehr sicher, ob das alles zielführend ist.

Das Problem

Denn es bleibt kaum noch Zeit zum Fotografieren. Die unzähligen Einstellmöglichkeiten verleiten dazu, genau das zu tun, was einen von der Fotografie, der Momentaufnahme, dem einmaligen Moment zu „erwischen“, abhält. Der Blenden-, ISO- und der Belichtungszeiteinstellung kann man zwar gezielt entgehen, in dem man den A-Modus an der Kamera wählt, die Blende je nach Motiv und Bildidee vorwählt und den Rest der Kamera überlässt. Also ISO auf Automatik und die Belichtungszeit orientiert sich an der Blende. Das reicht für eine Vielzahl an Motiven vollkommen aus. Dennoch bleiben noch Filmsimulation, Über- oder Unterbelichtungskorrektur, die Wahl des Ausgabeformates, Serien- oder Einzelbild, Tier-, Mensch- oder was auch immer für ein Autofokus, Belichtungsmatrix und vieles andere mehr.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich finde es großartig, dass es all diese Möglichkeiten gibt, bin begeistert und habe viel Spaß damit und ich bin sowieso niemand, der tausend Bilder „schießt“, um sich dann ein paar wenige gelungene Schnappschüsse herauszupicken.


Wenn ich dann jedoch meine Einstellungen gefunden habe, nutze ich diese auch regelmäßig und stelle fest, dass ich eine Vielzahl der Funktionen gar nie benötige. Und so geht das der überwiegenden Zahl der Fotografen – Hobbyisten wie Profis gleichermaßen. 


So stellt sich mir die Frage, warum ich ein Auto mit 1.000 PS für 250.000 Euro kaufen soll, wenn ich diese nie nutze und mit 200 PS für 50.000 Euro auch sehr gut klarkomme?

Ja, ich verstehe. Für jeden muss etwas dabei sein. Aber eine Kamera muss nicht alles können. Mittlerweile liegen die Modelle von Canon und Sony beispielsweise so eng beisammen und haben nahezu die gleichen Funktionen, dass der Einsteiger und Hobbyist den Unterschied kaum zu erkennen vermag. Die Nikon Z8 ist so etwas wie die kleine Z9, aber keineswegs deutlich besser (wenn man mal von der doppelten Auflösung absieht, die sich in der Praxis aber keineswegs als bahnbrechend herausstellt), als eine Z6II. Gleiches gilt für die X-T4 von Fujifilm im Vergleich zur X-T5. Wer eine X-T4 hat und damit gut zurechtkommt, hat “eigentlich“ keinen Grund zu einem Wechsel.


Die Lösung

Back to the roots. Eine Lösung wäre beispielsweise für einen Foto Walk nur eine Brennweite zu verwenden. Oder alle Einstellungen belassen und nur mit der Blende zu arbeiten oder eine feste Verschlusszeit zu wählen. So muss man sich auf die Suche nach dem zu den Vorgaben passenden Motiv begeben. Smart verwendete seinerzeit den Marketingspruch „RTTM - Reduce to the max“. Reduzieren für das Maximum. Ich finde, das passt sehr gut für diese Art der Fotografie. Es macht frei. Frei von der Last eines Fotorucksacks, frei von der Vielzahl an Möglichkeiten und reduziert letztendlich auf das Wesentliche – nämlich die Fotografie selbst.


Fazit

Befreien Sie sich von unnötigem Ballast (sowohl physisch wie psychisch) und gehen Sie einmal mehr mit Ihrer Kamera und einem Objektiv in die Natur. Als Zoom nutzen Sie Ihre Füße und wenn Sie für den Raubvogel das vermeintlich „falsche“ Objektiv dabeihaben, fotografieren Sie ihn trotzdem – oder einfach etwas anderes. Motive gibt es genug und für einen Nachmittag im Weizenfeld reicht ein Objektiv sowieso.


©2023 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

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