Frage nicht nach ISO, Blende und Verschlusszeit

Jürgen Pagel

Frage nicht nach ISO, Blende und Verschlusszeit

Oft werden Fotografen bei einem (veröffentlichtem) Foto nach der verwendeten Blende, ISO und Verschlusszeit gefragt (EXIF-Daten).
Tatsächlich ergibt diese Frage keinen Sinn, weil zum Zeitpunkt des „Nachfotografierens“ an der gleichen Location vollkommen andere Bedingungen vorherrschen können und das ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so.

Andere Uhrzeit, andere Lichtverhältnisse, tiefer oder höherstehende Sonne oder eine Wolke, die sich vor die Sonne schiebt, Menschen im Bild, leichter oder starker Wind, der die Zweige und Äste sowie Blattwerk bewegt – all das sind eine Auswahl von Faktoren, die eine völlig andere ISO, Blende oder Verschlusszeit bedingen. Gerade dem Anfänger ist es nahezu unmöglich, anhand der EXIF-Daten ein Foto „nachzubauen“, zumal die Bildentwicklung an einem Programm wie Adobe Lightroom, Photoshop, Capture One, ACDSee oder was auch immer Anwendung findet, ein wesentlicher Faktor für das endgültige Aussehen der Fotografie darstellt. 

Dazu kommt dann noch die verwendete Kamera, die Bauart des Objektivs (IBIS oder OBIS oder beides miteinander kombiniert), des Stativs und des Untergrundes, ob mit Filter und wenn ja mit welchem oder mit Fernauslöser sind weitere Punkte, welche die Charakteristik eines Fotos maßgeblich beeinflussen. Und kaum ein Fotograf hat exakt die gleiche Ausrüstung wie sein Kollege oder seine Kollegin. Jede Kamera, jedes Objektiv und jedes Bildentwicklungsprogramm vermittelt eine vollkommen eigene Charakteristik, die kaum oder gar nicht nachzustellen ist.


Mit anderen Worten: Die Fragestellung nach ISO, Blende und Verschlusszeit sind a. inhaltlich zu wenig und b. keineswegs hilfreich.


Statt den EXIF-Daten zu vertrauen, die bei Objektiven ohne elektronische Kontakte sowieso meist unvollständig sind, ist es besser, sich Gedanken über den Bildaufbau, die Komposition, die Lichtsituation, über die Vordergrund-, Mittelgrund- und Hintergrundschärfe zu machen.


Motivwahl
Was war der Gedanke des Fotografen, was wollte er mit seiner Fotografie aussagen?


Schärfe
Welche Bedeutung kommt der Schärfe zu? Wie groß oder gering ist die Schärfentiefe? Allein daran kann man in etwa abschätzen, mit welcher Blende gearbeitet wurde. Wie würde sich das Bild mit einer anderen Schärfentiefe verändern? Warum hat der Fotograf diese Schärfentiefe gewählt?


Lichteinfluss

Welche Lichtbedingungen herrschten zum Zeitpunkt der Aufnahme vor? War das am frühen oder späten Morgen bzw. am Abend? Wo stand die Sonne (wenn sie erkennbar geschienen hat)? Wie war der Schattenwurf? Anhand der Länge von Schatten lässt sich recht sicher eine Aussage über die Tageszeit in Abhängigkeit des Kalenders machen. Wurden Abschatter verwendet oder ein entfesselter Blitz? Kam ein Aufheller zum Einsatz? All das lässt sich aus einer genauen Analyse eines Bildes herauslesen. Zugegeben, das erfordert Übung und ein geschultes Auge, aber es ist erlernbar. Beim Einsatz von Models ist das sogar relativ einfach. In den Catchlights des Auges lässt sich sogar die Art der verwendeten Softbox herauslesen. Und kommt das Licht relativ steil von oben, entstehen starke Schatten unter der Nase und dem Kinn. Sind diese nicht vorhanden, wurde in aller Regel ein Reflektor unterhalb eingesetzt, der diese dunklen Partien aufhellt.


Kamera

Schwieriger ist es, die verwendete Kamera zu identifizieren. Den Unterschied zwischen Vollformat du APS-C beispielsweise vermögen selbst Profis nicht festzustellen, wenn sie keinen unmittelbaren Vergleich haben – zumal die Unterschiede tatsächlich marginal sind.

Objektiv

Bei der Verwendung des Objektivs ist das ein wenig einfacher. Der Einsatz eines Teleobjektivs mit größerer Brennweite lässt den Hintergrund komprimiert erscheinen. Weiter entferntes rückt damit deutlich näher. Mit Hilfe von Google lassen sich die Distanzen errechnen und daraus wiederum Rückschlüsse auf Brennweite ziehen.
Weitwinkelobjektive führen zu den typischen Verzerrungen von Gesichtern, die dann eigenartig rund aussehen und die Nase deutlich in den Vordergrund tritt. Allerdings lassen sich diese perspektivischen Verzerrungen im Bildbearbeitungsprogramm weitestgehend korrigieren.
Ein typisches Swirley-Bokeh mach beispielsweise das Helios 44-2 M42 oder das Asahi Takumar 55mm f/1.8. Ein sehr typisches Bubble-Bokeh in den geeigneten Lichtsituationen erzeugt beispielsweise das 100mm f/2.8 von TTArtisan oder das Meyer-Optik Trioplan 100mm f/2.8 – ein sogenanntes Altglas. Alte Minolta-Objektive erzeugen ebenfalls einen nostalgischen Look, der recht gut erkennbar ist – wenn man weiß, wie und selbst solche Objektive besitzt. Bei allen anderen Varianten sind die Unterschiede so gering, dass sie nicht erkennbar sind. Für die Schärfe beispielsweise ist nicht nur das Objektiv, sondern auch die Auflösung des Sensors, die ISO, aber auch die ruhige Hand es Fotografen verantwortlich.

Kurzform: Ausprobieren. Gefällt Dir ein Bild von einer Location, fahre oder gehe hin und probiere es aus. Und zwar so lange, bis es Deiner Meinung nach passt. Die Bildvorschau Deiner Kamera hilft Dir dabei. Wer allerdings analog unterwegs ist, wird viele Versuche benötigen und muss sich nach der Entwicklung des Films überraschen lassen. Das ist schließlich auch etwas sehr Besonders.


Fazit
Frag‘ nicht, sondern mache!


Ich bin mir sicher, dass dies das kürzeste Fazit ist, das ich jemals in einem Beitrag geschrieben habe.


©2024 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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