Fünf überbewertete Kriterien in der Fotografie

Jürgen Pagel

Fünf überbewertete Kriterien in der Fotografie

Immer wieder wird darüber diskutiert, was dann dazu führt, dass ständig welche auf den Zug aufspringen und diese Themen immer wieder neu aufgenommen werden. Eigentlich schade, denn es könnte so einfach sein. *)

1. Vollformat
Es muss unbedingt Vollformat sein. APS-C oder gar MFT ist etwas für Hobbyisten. Keiner der ernsthaft fotografiert, kommt am Vollformat vorbei.
Zugegeben, das Vollformat hat ein paar Vorteile. Größerer Sensor bedeutet größere Pixel. Das Ergebnis: weniger Bildrauschen. 
Das spielt allerdings heutzutage keine große Rolle mehr, da dank der KI in Programmen wie Topaz AI das Bildrauschen vollständig eliminiert werden kann.
Ein Vollformatsensor stellt den gesamten Bildausschnitt einer Brennweite dar. Ein 20mm-Objektiv entspricht am Vollformat auch dem Bildwinkel eines 20mm-Objektives. Bei einem Crop-Sensor wird nur ein Teil dieses 20mm-Objektivs dargestellt – der Bildausschnitt wird enger.
Ein Vollformatsensor bietet etwas mehr Bokeh. Technisch gesehen ist es genau das gleiche Bokeh, wie bei einem APS-C-Sensor, aber durch den geringeren Bildausschnitt müsste man weiter weg vom Motiv und das wiederum verändert das Bokeh durch eine größere Schärfentiefe.
Aber kleinere Sensoren haben auch Vorteile. Die Brennweite wird verlängert. So entsprechen 300mm Brennweite am Vollformat, 450mm Brennweite am APS-C-Sensor oder gar 600mm am APS-C-Sensor. Bedeutet, du kaufst beispielsweise ein 450mm- oder 600mm-Objektiv für den Preis eines 300mm-Objektivs. Für alle Natur-, Wildlife-und Sportfotografen ein echter Gewinn.
Weniger Tiefenschärfe kann auch ein Vorteil sein. Insekten und Blumen werden über eine insgesamt größere Tiefenschärfe dargestellt – für Makrofotografen durchaus sinnvoll, denn mehr Tiefenschärfe bedeutet kleinere Blende und längere Verschlusszeit. Gerade für Freihandaufnahmen eine schwierige Situation, da die Gefahr der Verwacklungsunschärfe zunimmt. Dagegen hilft wiederum nur eine höhere ISO, die wieder mehr Bildrauschen erzeugt.
Für Vollformatsensoren braucht es eigene Objektive. Solche die für Vollformat gerechnet wurden, lassen sich problemlos an einer APS-C- oder MFT-Kamera adaptieren – aber nicht umgekehrt. Vollformatobjektive sind in der Regel etwas teurer.
Übrigens sind auch Vollformatkameras deutlich teurer als APS-C- oder MFT-Kameras.
Die Vorteile von Vollformatkameras sind jedoch insgesamt sehr gering, außer man sieht für sich einen echten Nutzen. Würde man einen echten spürbaren Nutzen haben wollen, käme nur Mittelformat iin Frage und da sprechen wir von Kosten jenseits der 10.000-Euro-Grenze.

2. Megapixel
Mehr Megapixel machen kein besseres Bild. Das Marketing der Hersteller hat es allerdings verstanden, deutlich mehr Megapixel zu verkaufen, als notwendig ist.
„Ich möchte richtig groß drucken“ – wofür? Wie oft? Selbst eine Auflösung von 12 Megapixel reicht für einen hochklassigen DIN A4-Druck vollkommen aus. 20 Megapixel sind ausreichend genug für DIN A3 oder gar DIN A2.
Mehr Megapixel stellen auch größere Anforderungen an die Rechner (schneller, mehr Speicherplatz, größere Festplatten etc.), was wiederum in höheren Kosten für die Hardware mündet.

3. ISO
Es muss ein Nachtsichtgerät sein, sonst ist es keine Fotografie. Jeder Sensor hat eine native ISO, beispielsweise 125 (die meisten Fujifilm-Kameras haben eine native ISO von 125). Stellst du nun deine Kamera auf ISO 3200 macht die Kamera nichts anderes, als die Helligkeit anzupassen. Das geht tatsächlich auch in der Bildbearbeitungssoftware. Der eigentliche Punkt ist, wie sehr das Bild rauscht, wenn es aufgehellt wird. Wer braucht eine ISO von 102.500? Wie oft fotografierst du bei vollkommener Dunkelheit? Wäre es da nicht besser, einen Blitz oder eine andere externe Lichtquelle zu verwenden, statt die ISO in ungeahnte Höhen zu treiben? Ich habe noch in keiner meiner Kameras eine höhere ISO als 6.400 verwendet. Bist du ein Wildlife Fotograf, der mit Nachtsichtgerät in vollkommener Dunkelheit auf der Lauer liegt, um nachtaktive Lebewesen zu fotografieren, dann ergibt es einen Sinn, höhere ISO-Werte zur Verfügung zu haben. Aber sonst?

4. Bildbearbeitung
Ein Trend, der sich in den letzten Jahren durchgesetzt hat, ist der Verzicht auf Bildbearbeitung – OOC oder SOOC. „Out of Cam“ oder „Straight Out of Cam“.
Wenn du deine Bilder bearbeitest, bist du kein Fotograf, sondern ein Bildbearbeiter. Dabei war das Anheben von Kontrasten oder der Belichtung, das Verändern der Farben u.a. war schon immer ein Teil der (analogen) Fotografie. Der erste Schritt war dazu die Auswahl des Films selbst. Die Ausstrahlung, der Stil, die Bildwirkung wurden durch die Entwicklung des Films im Fremd- oder dem eigenem Labor beeinflusst. Nur das Werkzeug dazu hat sich geändert. Das, was man früher in einem Labor machen musste, kannst du heute in deinem Bildbearbeitungsprogramm machen. Aber im Prinzip funktioniert das immer noch nach den gleichen Spielregeln. Übrigens, auch die Kamera erzeugt kein echtes Bild, sondern bei einem JPEG bestimmt die Kamera durch eine interne Bearbeitung den Look – das gilt besonders für die Smartphone-Fotografie. Nichts ist, wie es scheint. Das Ziel der Fotografie war es noch niemals etwas zu zeigen, wie es tatsächlich aussieht. Fotografie hat seit jeher von der Interpretation des Fotografen gelebt und von dem, wie er das wahrgenommen hat.
Merke: Die Bildbearbeitung gehört zur Fotografie wie die Deckel auf den Topf.

5. Kameramarke
Welche Kamera ist die Beste? Keine. Sie ist ein Werkzeug. Es ist vollkommen ok, wenn dir eine Kamera besser gefällt oder deinem Zweck dienlich ist. Dann fotografiere damit. Eine Kamera muss ein Teil von dir werden. Sie muss sich gut anfühlen, sie muss gut in der Hand liegen. Dann entscheide auf Basis der Sympathie. Wenn dich die Menüführung oder Bedienungselemente nerven, ist es für dich die falsche Kamera. Die Einzigen, die von einer anderen Vorgehensweise als der, in ein Geschäft zu gehen und verschiedene Marken zu testen profitieren, sind die Hersteller eben dieser Kameras. Das Gesamtpaket ist entscheidend: Was kostet die Kamera, wie teuer sind die Objektive, wie hoch die Folgekosten? Was habe ich im Bestand und was muss ich dazu kaufen? Welche Brennweiten brauche ich wirklich? All das entscheidet am Ende über die Marke. Ob die dann Sony, Canon, Panasonic, Olympus oder Fujifilm heißt, ist unbedeutend.

Fazit
Wichtiger als die Kamera selbst, sind die Objektive. Die Kamera fällt schnell dem technischen Wandel zum Opfer und ist meist erheblich günstiger als einzelne Objektive. Sogenanntes Altglas ist das beste Beispiel dafür. 40, 50 Jahre alte Objektive haben auch heute noch herausragende Abbildungsleistungen und sind mittels entsprechender Adapter an nahezu jede Kamera adaptierbar. Ein 50 Jahre altes Asahi Takumar 55mm f/2.0 oder ein Konica Hexanon 40mm f/1.7 performt auch an einer 40MP-Kamera erstklassig – im Vergleich zu moderneren Objektiven, die bei hohen Megapixel-Zahlen auch einmalmehr deutliche Schwächen zeigen.
Spring also auch du nicht auf den Zug der überbewerteten Kriterien auf.

©2024 Jürgen Pagel | Neunzehn58

*) Inspiriert durch einen Beitrag von Christian Anderl (2022)

Neunzehn58 Photographie

Apokalyptische Szene
von Jürgen Pagel 24. April 2025
Wenn Fotograf:innen extrem niedrige Preise verlangen (oft weit unter dem marktüblichen Niveau), kann das tatsächlich dazu führen, dass Kund:innen ein verzerrtes Bild vom Wert professioneller Fotografie bekommen. Das Resultat: Der Preis wird als wichtigstes Kriterium wahrgenommen – nicht die Qualität, die Erfahrung oder der Service. Das ist gefährlich für alle, die nachhaltig und professionell arbeiten möchten.
Sammlung alter Kameras und Objektive
von Jürgen Pagel 23. April 2025
Viele schwören darauf, manche lehnen sie kompromisslos ab. Sehr wahrscheinlich haben beide Gruppen unrecht. Nur weil das Objektiv alt ist, ist es nicht zwangsläufig gut. Wenn eines seinen eigenen Charakter an einer Fujifilm X-T5 entwickelt, muss das an einer Nikon Z8 nicht unbedingt auch funktionieren. Richtig ist, dass sich am technischen Vorgang der Fotografie wenig geändert hat. Richtig ist aber auch, dass die Objektive aus den 50er bis in die frühen 90er Jahre in erster Linie für analogen Film entwickelt und gefertigt wurden. Und oftmals sind sie als Massenprodukt millionenfach hergestellt worden, ohne dass man Wert auf eine herausragende Qualität gelegt hat, denn auch nach 1950 saß das Geld nicht locker und wer sich schon für ein paar hundert Mark eine Kamera leisten konnte, dem kam die Industrie mit einigermaßen günstigen Objektiven entgegen.
Blitzlicht alt
von Jürgen Pagel 21. April 2025
Einer meiner großen Vorbilder in Sachen Blitzlichtfotografie ist - wie ich schon in einem anderen Blogbeitrag erwähnte - Aki Moosmann. Am 21.04.2025 erschien ein neues Video auf seinem YouTube-Channel, dass sich wieder einmal mehr mit dem Einsatz eines Blitzes bei Outdoor-Shootings und in einer U-Bahnhaltestelle beschäftigt. gerne teile ich dieses Video mit Euch!
Portfolio Personal Branding Mann im speziellen Licht
von Jürgen Pagel 20. April 2025
Erfahre, wie Personal Branding Fotografie deine Marke stärkt. Tipps, Bildideen & Strategien für authentische Businessportraits, die wirklich wirken.
Gemüse mit Preisbeschriftung auf einem Markt
von Jürgen Pagel 20. April 2025
Lerne, wie du als Fotograf realistische und faire Preise kalkulierst. Inklusive Beispielrechnungen, Tipps zur Preisgestaltung & Stundensatz-Berechnung.
Sezifikationsdaten der Fujifilm X-H2
von Jürgen Pagel 18. April 2025
In einer Welt, in der Kameras in technischer Hinsicht immer ähnlicher werden, gelingt es Fujifilm, aus der Masse hervorzustechen – nicht nur durch beeindruckende Technik, sondern auch durch ein ganz besonderes fotografisches Erlebnis. Als Besitzer der Fujifilm X100VI und X-H2 kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Diese Kameras begeistern nicht nur durch ihre 40 Megapixel Auflösung, sondern durch eine nahezu magische Verbindung aus Bildqualität, Design und Emotion.
Aufmerksamer Hund in Pose als Portrait
von Jürgen Pagel 18. April 2025
Das 50mm-Objektiv gilt nicht ohne Grund als einer der beliebtesten Brennweitenklassiker in der Fotografie. Leicht, kompakt, lichtstark und vielseitig einsetzbar – es begleitet Fotograf:innen seit Jahrzehnten durch alle Genres. Doch wie verhält sich das beliebte „Normalobjektiv“ an unterschiedlichen Sensorgrößen, insbesondere im Vergleich von APS-C zu Vollformat? Und welche Motive lassen sich damit besonders wirkungsvoll in Szene setzen?
KI generiertes Model
von Jürgen Pagel 13. April 2025
H&M nutzt neuerdings künstliche Intelligenz, um digitale Doppelgänger von 30 Models zu erstellen, die in Marketingkampagnen und sozialen Medien eingesetzt werden sollen Diese Entwicklung wirft Fragen zur Zukunft von Fotografen, Stylisten und Models auf, da die digitalen Avatare potenziell die Nachfrage nach realen Modellen reduzieren könnten Die Models selbst können jedoch über ihre digitalen Doppelgänger bestimmen, sie für virtuelle Shootings zu nutzen und an andere Marken zu verkaufen Trotzdem machen Agenturen in Berlin große Sorgen, da sie beobachten, dass Kunden vermehrt Anfragen stellen, um sich weitreichende Bild- und Persönlichkeitsrechte vertraglich zu sichern und diese dann für KI-Anwendungen zu verwenden. Ohne klare gesetzliche Grundlagen ist es schwierig, fundierte und nachhaltige Entscheidungen zu treffen oder Schutzmechanismen zu etablieren.
Leica Kamera M9
von Jürgen Pagel 13. April 2025
Der Begriff „Leica-Look“ ist ein regelrechter Mythos unter Fotografen – geliebt, diskutiert, manchmal auch belächelt. Ja, viele sagen: Den Leica-Look gibt es. Aber er ist kein rein technisches Phänomen, sondern ein Zusammenspiel aus Optik, Sensorcharakteristik, Farbwiedergabe – und einer gewissen Portion Subjektivität und Markenmystik.
Fujifilm X100VI
von Jürgen Pagel 6. April 2025
Die Fujifilm X100VI (mittlerweile ist sie wieder problemlos verfügbar) ist eine Edel-Kompaktkamera mit einem 40 MP-Sensor und Objekterkennung. Sie nutzt den gleichen Sensor wie die X-H2 und die X-T5. Die Bildqualität ist herausragend, die fast schon legendären Filmsimulationen von Fujifilm stets eine gute Wahl für JPEG-Enthusiasten. Die Kamera ist für Einsteiger in das Fujifilm-System ebenso geeignet, wie für ambitionierte Hobbyfotografen oder für Profis als Backup-Kamera.
Weitere Beiträge