Gewöhnungseffekt

Jürgen Pagel

Haben wir uns schon zu sehr an fehlerhafte Produkte gewöhnt?

In der Automobilbranche kennen wir das schon lange. Die Liste der vom KBA (Kraftfahrtbundesamt) angeordneten amtlichen Rückrufaktionen ist so lang, dass sie hier nicht beschrieben werden kann. Wer dennoch einmal einen Blick auf die unzähligen Rückrufaktionen werfen möchte, darf dies gerne unter diesem Link https://www.kba-online.de/gpsg/startServlet?adress=gpsg tun. Viel Spaß dabei.
Toyota ruft mit einer Quote von 328 Prozent und rund 7 Mio. betroffener Fahrzeuge die meisten Pkw wegen sicherheitstechnischer Mängel in die Werkstätten zurück, gefolgt von Honda mit 5,8 Mio. Pkw sowie Ford mit rund 5 Mio. Fahrzeugen.

Auch in der Lebensmittelbranche sind Rückrufaktionen keine Seltenheit. Eine Liste, deren Studium mehrere Stunden andauern wird, findet sich hier https://www.lebensmittelwarnung.de/bvl-lmw-de/liste/alle/deutschlandweit/10/0.
Langweilig wird es Ihnen dabei nicht werden. Wohl eher schlecht, denn die meisten Rückrufe kommen entweder zu spät oder werden von den Verbrauchern nicht wahrgenommen. Wie auch? Dazu müsste man jeden Tag in die Liste schauen und wer macht das schon (gerne).

Was aber in der Öffentlichkeit bisher vollkommen unbeachtet geblieben ist, sind Rückrufaktionen der Kamerahersteller. In Deutschland wurden 2022 ca. 1,05 Millionen Digitalkameras und Camcorder verkauft. Wie viele davon regelmäßig von Rückrufen betroffen sind, ist nicht bekannt. Die Hersteller schweigen sich auf Anfrage regelmäßig aus. Anders als bei Automobilen sind Kameras nicht sicherheitsrelevant und eine zerstörte Kamera ist zwar ein erheblicher Schaden für den Käufer aber für die Öffentlichkeit vollkommen unbedeutend.

Dennoch darf man auf Grund einer Vielzahl an Berichten von Nutzern getrost davon ausgehen, dass auch Kamerahersteller ihre Käufer zunehmend als „Versuchskaninchen“ sehen. Verständlich ist das dann, wenn unter hohem zeitlichem Druck ein Modell unbedingt zu einem seit langem angekündigtem Release auf den Markt muss. Das ist aber nur in Ausnahmefällen so. Ein Grund für die zunehmende Fehlerquote scheint eine Art „Verschlimmbesserung“ zu sein. Die Gehäuse variieren nur in geringem Maß. Die Technik selbst ist weit fortgeschritten. 
Also werden v.a. Kleinigkeit optimiert, wie die Befestigung vom Blitzschuh bei der Canon R5. Hierbei wurden die Befestigungsschrauben, die bisher von außen zugänglich waren, nach innen verlegt. Lockert sich der Blitzschuh, was bei einer Vielzahl der Nutzer beobachtet wurde, kann dieser vom Käufer selbst nicht mehr befestigt werden und die Kamera muss in die Werkstatt. Außerhalb der Garantiezeit werden hier Kosten von bis zu 400 Euro aufgerufen.
Am bekanntesten sind zurzeit sicher die Pannen bei der Nikon Z8. Zum einen lässt sich Objektiv bei einigen Modellen entweder nicht anbringen, nicht lösen oder löst sich von selbst, was unweigerlich zu einem erheblichen Schaden eines Objektivs führen kann (in Anbetracht von Objektivpreisen von 500 – 1.500 Euro und mehr sicher keine Peanuts), zum anderen lösen sich bei einigen Modellen die Befestigungsösen für den Gurt. Hier dürfte der Schaden ggf. noch größer ausfallen, weil dann nicht nur das Objektiv einen Schaden nimmt, sondern die Kamera selbst auch. Nebenbei erwähnt: wir reden von einer Kamera, deren Gehäuse ca. 4.600 Euro kostet und die überwiegend von professionellen Fotografen genutzt werden dürfte, die mit dieser Kamera ihr Geld verdienen müssen!

Nun ist offensichtlich die Leica Q3, die mit rd. 6.000 Euro für Leica-Verhältnisse ein Schnäppchen ist, ebenfalls betroffen. Einige Modelle lassen sich nämlich nicht mehr ausschalten. Beheben lässt sich das zwar mit dem Entfernen der Batterie, ich denke jedoch nicht, das dies in dieser Preisklasse besonders zielführend ist.
Ein weiteres Problem, das behoben werden soll, betrifft den Wiedergabemodus, bei dem die Bilder nicht richtig angezeigt werden und die Kamera manchmal blockiert wird.

Fazit
Über das Warum lässt sich nur spekulieren und daran möchte ich mich nicht beteiligen.
Fakt ist jedoch, dass die meisten Fehler bei Automobilen bei einem eintägigen Werkstattbesuch behoben werden können (oftmals gibt es für die Dauer der Reparatur einen Ersatzwagen), wohingegen eine Kamera zum Hersteller eingesendet werden muss. Da mit Ausnahme von Leica die namhaften Hersteller sich in China oder Japan befinden, dauert die Reparatur – egal, ob es sich um einen Garantiefall handelt oder nicht – mindestens 4-6 Wochen. Ersatzkameras gibt es vom Fachhandel nicht, weil alle Hersteller momentan teils erhebliche Lieferengpässe haben. Wer im Versandhandel einkauft hat dazu noch das Problem, dass ihm kein einziger mühsamer Schritt zum sicheren Rückversand abgenommen wird.

Immer wieder liest man, dass dies alles nicht so schlimm sei, Fehler überall passieren können und niemand perfekt ist.
Dem kann und will ich nicht zustimmen. Weder bei Automobilen noch bei Kameras (bei Lebensmitteln sowieso nicht). „Perfektes“ Geld nehmen sie nämlich alle gerne an. Gefälschtes dagegen wird abgelehnt (zu Recht). Für mein erstklassiges Geld kann ich auch erstklassige Ware erwarten. Es nutzt mir nichts, wenn der Schaden sich innerhalb der Garantie bewegt. Die Kamera ist für sechs Wochen weg, ein Ersatz steht nicht zur Verfügung, u.U. droht ein Verdienstausfall, Entschädigungen gibt es keine. Das alles ist nicht lustig und auch gar nicht entspannt zu sehen. Es ist vielmehr eine Unverschämtheit, das Fehler auf dem Rücken der Verbraucher ausgetragen werden und die Hersteller ihre Hände in Unschuld waschen.

Was man dagegen tun kann? Außer mit den Füßen abzustimmen, fällt mir nichts ein. Ich selbst nutze ein Nikon-System und kann dieses nicht ohne Weiteres und nicht ohne erhebliche Kosten wechseln. Zumal man bei einem Wechsel nicht die Sicherheit hat, dass Fehler bei den anderen Herstellern nicht passieren.
Am Ende wird es nur helfen, Fehler publik zu machen und so die Hersteller unter Druck zu setzen. Ob das funktioniert? Ich weiß es nicht.

©2023 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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