Zu teuer!

Jürgen Pagel

„Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften. Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres zu bezahlen.“

John Ruskin (* 8. Februar 1819 in London; † 20. Januar 1900 in Brantwood), englischer Schriftsteller, Maler, Sozialreformer und Kunstkritiker

Damit wäre eigentlich alles gesagt bzw. geschrieben. Wären da nicht die Kunden, denen nichts billig genug sein kann. Immer wieder kommt das Argument – wenn auch selten offen ausgesprochen, aber wohl gedacht, dass 200 Euro Stundensatz für die Fotografie „ganz schön teuer“ seien.
Leider sehen viele potenzielle Kunden:innen nicht die Arbeit, die sich hinter „ein paar“ Fotos verbirgt. Deswegen würde ich Ihnen im Rahmen dieses Artikels gerne erklären – sozusagen als „Erklärbär“ -  was es bedeutet, Fotografien in Auftrag zu geben und diese von einem Experten machen zu lassen. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, ob Lebensmittel fotografiert werden sollen oder eine Reportage über das Handwerk im Vordergrund steht. Es geht mir vielmehr um das Grundsätzliche.

Wie kommt ein Preis zustande?

Zur Gestaltung eines Preises an sich gibt es zwei (und mehr) Möglichkeiten.

  1. Die Preisgestaltung auf Basis der Konkurrenz.
  2. Kann man so machen, ist aber doof. Wenn der Mitbewerber seine Preise nicht kalkuliert, sondern aus dem Bauch heraus gestaltet, macht man es definitiv nicht besser und die eigenen Preise müssten ein Vielfaches höher angesetzt werden, als man das auf den Blick annimmt.
  3. Ob der Preis am Ende tatsächlich passt, ist ein purer Zufall. Kann sein oder auch nicht. Nicht vorhersehbar und im Nachhinein nur schwer zu korrigieren. Billiger geht zwar immer, aber teurer werden müssen, kann zu einem ernstzunehmenden Problem werden, weil Sie sehr wahrscheinlich viele Kunden verlieren werden, wenn Sie nicht gleichzeitig die Leistung erhöhen. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz.
  4. Die Preisgestaltung mittels Kalkulation.
  5. Das ist in jedem Beruf etwas anders. Anders, weil die Investitionskosten, die Bereitstellungskosten, die Lagerhaltung, die Lebensweise des Anbieters, die steuerliche Belastung, Umsatzsteuerpflicht und anderes mehr vollkommen unterschiedlich sind. Deswegen lassen sich auch die Stunden- oder Tagessätze eines Finanzberaters nicht mit denen eines Fotografen, eines Bäckers oder eines Metzgers vergleichen. Natürlich spielt die Wertigkeit eine wesentliche Rolle, aber wir können getrost davon ausgehen, dass jeder der o.g. Berufe die gleiche Wertigkeit in der Gesellschaft hat, zumindest haben sollte.
  6. Die Kalkulation ist die wesentlich bessere Methodik als Preise aus dem Bauchgefühl heraus zu gestalten.
  7. Hochpreisige Angebote bedürfen deutlich mehr Erklärungen und sind selten Selbstläufer. Je höher der Preis, umso größer ist in den Käuferschichten von vornherein die Ablehnung, ohne sich näher mit dem Angebot auseinander gesetzt zu haben. Es bedarf also der Klärung im Vorfeld, welchen Mehrwert, welchen Nutzen der Kunde erhält, welchen Mehrwert er erwarten darf.
  8. Prinzipiell muss ein kalkulierter Preis nicht höher sein als der aus dem Bauch heraus oder der Preis der Konkurrenz.


Auf eine detaillierte Darstellung einer Preisfindung möchte an dieser Stelle verzichten.


Zu teuer oder zu billig

Ob etwas teuer oder billig ist, unterliegt zunächst einer rein emotionalen Entscheidungsfindung. Wir haben ein (meist) ziemlich gutes Gefühl für Wucherpreise oder für Ramschangebote, ohne die Details der Preisfindung zu kennen. Und wir können sehr gut unterscheiden, ob ein Produkt sein Geld auch wahrscheinlich wert ist (deswegen schadet das Grundverständnis dafür, wie Preise zustande kommen, definitiv nicht). Ich würde mir wünschen, dass sich viel mehr Menschen darüber Gedanken machen würden - viele Missverständnisse würden gar nicht erst aufkommen).


Bestes Beispiel dafür ist die jüngste Aktion von Penny, die erstaunlich viele Kunden durchschauen. Penny sieht sich viel Kritik ausgesetzt, weil dieses wie andere Unternehmen der Branche für die geringen Erzeugerpreise im Wesentlichen verantwortlich ist. Das dieses "Experiment" unter wissenschaftlicher Begleitung stattfindet, macht es nicht besser und führt zu einer Umkehr der Verantwortlichkeit. Man darf davon ausgehen, dass dies der Geschäftsführung von Rewe durchaus bewusst ist. Umso schlimmer.


Dennoch müssen wir gelegentlich hinterfragen, ob eine angebotene Leistung zu teuer oder gar zu billig ist. Tatsächlich tendieren viele Menschen - wenn nicht die Meisten - dazu, hochpreisige Angebote eher wahrzunehmen und diese auch zu kaufen. "Was teuer ist, hat auch einen größeren Wert" - so die Gedanken hinter einer Kaufentscheidung. Wir bemessen Leistung und Wert anhand des Geldes. Kennen Sie das? Handeln Sie genauso oder ähnlich? Ich gebe zu, das ich mich immer wieder dabei erwische.
Ich muss Ihnen nicht erklären, das dies falsch ist. Bisweilen auch fatal. Denn wenn das Produkt nicht den Wert für Sie hat, den Sie ihm zuschreiben, war Ihre Kaufentscheidung falsch und Sie müssen erneut kaufen - diesmal den Wert, den Nutzen im Auge behaltend.


Was geschieht, wenn Sie nicht kaufen? Welche Nachteile dürfen Sie erwarten?

Was "ersparen" Sie sich mittel- bis langfristig mit Ihrer Kaufentscheidung?

Ist es Ihnen das wert?
Die vielleicht m Interesse beider Seiten wichtigste Frage: Können Sie sich das leisten?

Nehmen Sie die Leistung nur einmalig oder regelmäßig war?


All dies sind Fragen, die den Wert einer Leistung für Sie persönlich bestimmen. Das kann für jemand anders vollkommen irrelevant sein. Ein Hochzeitspaar hat ein knappes Budget und kann sich einen Fotografen für 3.000 Euro nicht leisten. Ein anderes Paar hat für seine Hochzeit bis zu 25.000 Euro veranschlagt und es kommt auf weitere 3.000 Euro nicht an (traditionelle türkische Hochzeiten liegen meinen Recherchen zufolge durchaus auf diesem Niveau).
Sie planen ein Food-Shooting für die neue Getränkekarte Ihrer Imbiss-Bude. Mein Tipp: Nehmen Sie das Smartphone zur Hand und fotografieren Sie die Getränke, während sie jemand verzehrt. Das bringt Leben in's Bild, macht Durst und sieht sehr wahrscheinlich auch gut aus. Ein Fotograf kostet Sie mindestens 500 Euro zuzüglich An- und Abfahrt und Kilometergeld. Sie müssen einiges an Getränken verkaufen, bis sich das rentiert.
Sie sind stolzer Besitzer eines Edelrestaurants und möchten einen bestimmten Kundenkreis ansprechen. Dann sollten Sie auf professionelle Aufnahmen auf gar keinen Fall verzichten, denn Ihre Speisen sind Ihre Visitenkarte und wenn diese gut aussehen, dann bekommen die potentiellen Kunden auch Lust auf Ihr hervorragendes Essen - ohne das gehobene Preisniveau gezielt zu hinterfragen (überwiegend emotionale Kaufentscheidung). Die Fotografien sind also Bestandteil einer Marketingstrategie und somit budgetiert - folglich Bestandteil Ihrer Kalkulation und somit inkludiert.


Zielsetzung

Sie sehen - es kommt darauf an, welches Ziel, welche Strategie Sie verfolgen. Und bei der Entwicklung Ihrer Preisstrategie kann Ihnen Ihr professioneller Fotograf durchaus hilfreich sein. Er hat ein Auge (den fotografischen Blick) dafür, wie etwas angerichtet werden muss, damit es beim Kunden ein Hungergefühl, Lust erzeugt, hineinzubeißen und zu genießen.
Er hat das entsprechende Equipment, denn tatsächlich sehen viele Produktfotografien nicht gut aus, weil eines gefehlt hat - nämlich das Licht. Nicht umsonst heißt es seit je her: Fotografieren ist Malen mit Licht.

Auch wenn ich Fan von VIDF (Voll in die Fresse) - Blitzen bei Portraitaufnahmen bin - die Lichtsetzung in der Produkt-, Food- und Non-Food-Fotografie ist vollkommen anders und wesentlich komplexer, als der geneigte Laie anzunehmen vermag.


PreisWERT
Bedenken Sie bei Preisverhandlungen - sofern es dazu kommt, dass der Fotograf das unternehmerische Risiko trägt und eine professionelle Ausrüstung schnell zwischen 15.000 und 20.000 Euro (bisweilen auch mehr) kostet. Studio, Auto, Ausrüstung, Einkommenssteuer, Versicherungen und vieles andere mehr wollen bezahlt sein und werden - von den privaten Lebenshaltungskosten ganz zu schweigen.
Hinter den Bildern versteckt sich oftmals - von der Außenwelt abgeschnitten - ein hoher zeitlicher Aufwand. 500 Bilder bei einem Food-Shooting sind keine Seltenheit, mehr als 1.000 Bilder bei einer Hochzeit sind die Regel. Vorbesprechung, Besichtigung vor Ort, Pre-Shooting, das Shooting selbst. Anschließendes sortieren, jedes Bild bearbeiten - wobei ein Bild ca. 10 Minuten Bearbeitungszeit benötigt (Endresultat 150 Fotografien sind zwischen 20 und 25 Stunden Bildschirmarbeit), denn einfach ein Preset oder LUT (Look Up Table) darüber legen ist auf Grund wechselnder Lichtverhältnisse selten möglich. Upload in die Cloud, Zustimmung des Kunden einholen, finale Version erstellen bis zur Auslieferung des fertigen Endproduktes - das alles sehen Sie als Kunde eines professionellen Fotografen nicht. Wie auch? Ihre Kernkompetenz liegt schließlich nicht auf der Fotografie. Ich sehe das zeitliche Inzest hinter Ihrer Arbeit auch nicht - bis Sie es mir erklären und ich den Wert Ihrer Leistung deutlich besser einzuschätzen vermag.
So gesehen sind 1.800 Euro Tagessatz inklusive Umsatzsteuer (342 Euro gehen an den Vater Staat) eher ein Schnäppchen.

Fazit

Bevor Sie also das nächste Mal sagen: "Zu teuer!", bedenken Sie zuvor den Wert und den Nutzen einer Leistung oder eines Produktes. Und wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass Sie das selbst nicht besser können und der Wert nahezu unermesslich ist, weil es Ihnen Zeit und Energie erspart und den Wert Ihrer eigenen Zeit erhöht, dann bin ich sicher, dass Sie die richtige Entscheidung treffen werden.

©2023 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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