Ich nehme jeden Auftrag an

Jürgen Pagel

Ich nehme jeden Auftrag an *)

Folgendes Szenario, das dem fotografischen Alltag sehr nahekommt. Du erhältst eine E-Mail von einer offensichtlich netten Dame, die sich ein Shooting in ländlicher Umgebung, mit Bergen im Hintergrund, in einem kleinen See bei Sonnenuntergang wünscht und nun bei Dir anfragt, ob das a) möglich ist und b) was es kosten würde.

*) Das ist ironisch gemeint ;-).

Jetzt hast Du genau fünf Möglichkeiten:
  1. Du lehnst den potenziellen Auftrag (am Ende steht ja immerhin noch die Preisverhandlung) gleich ab, weil Dir das zu aufwendig ist. Du hast weder einen See noch Berge und siehst auch keine Möglichkeit, das zu arrangieren.
  2. Du nimmst den Auftrag auf jeden Fall an und schaust, wie Du das am besten hinbekommst. Du hast zwar noch keine Ahnung wie, aber irgendwie wird das schon werden.
  3. Du bedankst Dich für die Anfrage und leitest sie an einen Kollegen im Allgäu weiter, der mehr Seen und vor allem Berge in seinem Umfeld, als Du das bei Dir in Wohnortnähe vorfindest.
  4. Du fragst die potenzielle Kundin, welche Motivation sie hat, genau dieses Szenario für sich zu beanspruchen und welches Budget ihr dafür zur Verfügung steht.
  5. Du nimmst den Auftrag auf jeden Fall an und denkst Dir, mit KI bekommt man alles hin
So unrealistisch ein solcher Auftrag auf den ersten Blick klingen mag – sehen wir uns doch regelmäßig mit aus unserer Sicht außergewöhnlichen Anfragen konfrontiert. 
Du musst auch auf die oben genannten Möglichkeiten nicht sofort eine Antwort haben. Lass‘ uns das zunächst einmal analysieren.

Grundvoraussetzung für eine Annahme eines Auftrages ist, dass Deine Fähigkeiten und Möglichkeiten dem Auftrag entsprechen und Du diesen mit größtmöglicher Zufriedenheit für den Kunden (und für Dich selbst) erledigen kannst. Egal, wie Du Dich entscheidest, stelle Dir immer folgende Fragen:

  • Ist meine Ausrüstung für den Auftrag geeignet? Wenn nein, kann ich kurzfristig eine passende Ausrüstung besorgen?
  • Lohnt sich der Aufwand im Verhältnis zu dem, was der Kunde bereit ist, zu zahlen?
  • Erwachsen daraus Folgeaufträge, die entweder herausragend für Deine Reputation sind oder die Dir womöglich ein regelmäßiges Einkommen über Monate hinweg garantieren?
  • Entsteht aus diesem Auftrag womöglich eine neue Geschäftsidee, die zu verfolgen sich lohnt?
  • Macht mir die Erfüllung dieses Auftrages voraussichtlich so viel Spaß, dass ich diesen auch unter meinen Preisvorstellungen erfüllen mag?
  • Welchen Nutzen hat der Kunde? Welchen Nutzen habe ich?

Es lohnt sich folglich immer, Zeit in die Planung und die Ausführung zu investieren, mit Struktur und Strategie an einen solchen Auftrag heranzugehen.


A.    Google-Suche.

Die Kundin möchte einen See und Berge (zumindest eine hügelige Landschaft) und eine Sonnenuntergangsstimmung. Wo findet sich eine solche Location in meinem näheren Umfeld (+/- 50-80 Kilometer), die passen könnte und bei der die Sonne kurz vor dem Sonnenuntergang genau den Stand hat, den ich für solche Fotos benötige?
Hierbei hilft zum einen Google-Maps und die Kenntnis der Himmelsrichtungen. Zum anderen sind App’s wie Sun Surveyor gut geeignet, optimale Zeiten und Ausrichtungen festzulegen.

B.    Freunde und Bekannte.
Vielleicht kennt einer Deiner Freunde einen solchen Ort? Gibt es schon ähnliche Aufnahmen und wenn ja, wo wurden diese gemacht. Auch hier ist Google-Maps durchaus hilfreich, ebenso wie Google-Earth. Ist die Funktion der Fotofreigabe freigeschaltet, finden sich meist viele Beispielfotografien und Du kannst schauen, ob da etwas Passendes dabei ist.

 

Vorteil von A. und B. ist schlichtweg der, dass Du dazu das Haus nicht verlassen musst. Aber behalte den Aufwand für Deine Recherche stets im Auge. Es macht ergibt keinen Sinn, hierzu viele Stunden mit der Suche nach einer geeigneten Recherche zu verbringen. Deswegen im Vorfeld unbedingt das Budget der Kundin klären. Denn auch Recherche-Zeit ist Geld.

 

C.    Entscheide Dich für den richtigen Kunden.
Du wirst nicht jeden Kunden zufrieden stellen können und wer versucht, es allen recht zu machen, macht es am Ende niemanden recht.
Wenn Du als Fotograf einen Auftrag an einer Location annimmst, an der Du zuvor noch niemals warst und von Dir und die Aufnahmen unbedingt an diesem Tag, zu dieser Zeit und mit einer herausragenden Qualität entstehen müssen, weil das für den Kunden „kriegsentscheidend“ ist, dann überlege Dir sehr genau, ob Du diesem Anspruch gerecht werden kannst. Wenn DEIN Preis dafür den Rahmen des Budgets des Kunden sprengt und der hinterher aus allen Wolken fällt, hast Du trotz erstklassiger Arbeit sehr wahrscheinlich nichts gewonnen.
Du brauchts folglich den „idealen“ Kunden – das muss einfach für beide passen.

D.    Du brauchst eine Ausrüstung, der Du vertraust.

Das muss nicht das Teuerste sein. Und eine Vollformat-Kamera benötigst Du dazu auch nicht – wenn Du mit Deiner APS-C-Kamera umgehen kannst. Und eine gute Ausrüstung muss nicht teuer sein. Klar, Aufnahmen aus der Vogelperspektive kannst Du nur mit einer Drohne machen (die Kamera hochzuwerfen und dabei ein gutes Foto zu machen wird ein Produkt des Zufalls bleiben). Aber auch mit der solltest Du vertraut sein. Kannst Du Deine Kamera mit geschlossenen Augen bedienen? Kennst Du jede Funktion und weißt, welche Funktionen Du auf welchen Knopf gelegt hast? Nein? Dann wird es höchste Zeit. Kennst Du die hyperfokale Distanz? Weißt Du, wie man sie errechnet oder hast die geeigneten Hilfsmittel dazu? Kennst Du den Sweet-Spot Deiner Objektive? All das und noch vieles mehr gehört der professionellen Fotografie dazu und wenn Du das alles weißt, dann kannst Du einen o.g. Auftrag auch annehmen. Alles andere bleibt sonst dem Zufall überlassen. Es kann zufällig gut, aber mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auch fürchterlich in die Hose gehen.

E.     Halte alles schriftlich fest.
Jede Recherche, jedes Pre-Shooting, jedes Gespräch sind Bestandteil Deines Auftrages und werden schlussendlich dem Kunden in Rechnung gestellt. DAS ist professionell. Alles andere ist Mist. Getreu dem Motto „kein Problem, das bekommen wir hin“ ist nicht professionell und unterscheidet Dich von einer Vielzahl der Fotografen. Leider. Es wird viel gesprochen, an das sich hinterher keiner mehr erinnert. Das kann sehr teuer und im schlimmsten Fall zu einem Verlustgeschäft für Dich (und für den Kunden) werden.
Auch wenn das lästig klingt, aber lasse – wenn Du selbst in rechtlichen Dingen nicht sattelfest bist – von einem Anwalt überprüfen. Das machst Du nur ein- oder zweimal, dann hast Du dieses Kapitel gelernt und kannst künftig auf anwaltlichen Rat verzichten.
Bespreche unbedingt vor der Auftragsausführung mit dem Kunden noch einmal jeden Punkt und erziele Einigkeit.


F.     Bemühe noch einmal Google und kläre, ob Fotografieren an dem von Dir auserkorenen Ort tatsächlich erlaubt ist.

Das ist nämlich keineswegs selbstverständlich. Befindest Du Dich für Dein Shooting auf einem Privatgelände, dann benötigst Du die Erlaubnis des Besitzers. Aufnahmen und vor allem das Betreten eines Naturschutzgebietes (See und Berge) ist nicht ohne Weiteres möglich. Befinden sich im Hintergrund nicht-bleibende Kunstwerke? Das könnte ein Problem werden? Sind zufällig andere Personen auf dem Bild zu erkennen? Dann hat die DSGVO ein Wörtchen mitzureden. Willst Du Luftaufnahmen mit der Drohne machen? Dann sind weitere Vorschriften zu beachten. In Naturschutz- und den meisten Landschaftsschutzgebieten ist das Fliegenlassen von Drohnen nämlich untersagt, innerhalb einer geschlossenen Bebauung sowieso.
Mit dem entsprechenden Schein und der Registrierung sind innerstädtische Aufnahmen zwar möglich, aber Du benötigst dazu auf jeden Fall die Genehmigung der zuständigen Luftfahrtbehörde sowie der Gemeinde selbst. Das kostet leider einiges an Bearbeitungsgebühren und ist mit einem erhöhten Aufwand verbunden.

G.    Überprüfe nicht nur Deine Ausrüstung, sondern auch Dein Transportmittel (meistens in es das Auto).

Alles dabei? Hilfreich sind Checklisten, die Du vor dem Verlassen Deiner Wohnung oder Deines Hauses unbedingt abhaken solltest, damit Du auch nichts vergisst. Nichts ist schlimmer, als wenn Du in 100 km Entfernung von Deinem Wohnort an der Location feststellst, dass Du die Ersatzakku’s vergessen hast und der Akku in der Kamera nur noch 20% Ladung hat. Oder wenn Du genau das Objektiv, das Du vornehmlich einsetzen möchtest, nach dem Reinigungsprozess nicht dort gelandet ist, wo es hingehört – nämlich in Deinen Fotokoffer.
Ist mit dem Auto alles in Ordnung? Tank voll? Navi dabei? Die letzte ADAC-Rechnung bezahlt? Genügend Geld dabei, um notfalls mit dem Taxi zu fahren? Das klingt alles banal, hat aber auch schon den einen oder anderen Auftrag zum Scheitern verurteilt und ist nebenbei bemerkt auch noch ziemlich peinlich.

Dein Kunde will nicht so weite Strecken fahren (was sein gutes Recht ist) und Dein Auto ist mit dem ganzen Equipment, das Du geladen hast, zu klein? Dann wäre ein gemieteter Transporter eine Möglichkeit. Die bekommst Du für einen Tag schon ab 40 Euro inklusive 1.000 Kilometer – wäre also durchaus eine Alternative.
Vorteile: Du musst Dich nicht um den technischen Zustand kümmern, Dein Kunde „reist“ bequem und Du hast ausreichend Platz für das Equipment und Dein Kunde kann noch Wechselbekleidung mitnehmen.


H.    Wie Du definitiv NICHT auf die Anfrage antworten solltest!

„Vielen Dank für Ihre freundliche Anfrage“. Das machen nämlich fast alle. Das ist höflich und korrekt. Aber es machen eben fast alle. So stichst Du nicht aus der Masse der Fotografen heraus.
Besser ist es, mehr Informationen zu erhalten. Stelle offene Fragen. Erfrage das Budget. Frage nach der Motivation für die Shooting-Idee und lerne so Deinen künftigen Kunden besser kennen. Biete ihm/ ihr an, ein detailliertes Angebot auf Basis der Informationen, die Du vom Kunden erhalten hast, zu erstellen. Damit sind dann die Rahmenbedingungen auf jeden Fall fixiert. Biete ihm an, ihn abzuholen, damit für ihn keine Fahrtkosten entstehen. Mache ihm ein exklusives Angebot, in dem alle Kosten inkludiert sind und in dem der Nutzen für den Kunden deutlich wird. Keine DIN A4-Seite, aber doch so viel, dass möglichst keine Fragen offenbleiben.


Fazit

Vor der Annahme eines Auftrages, gilt es einiges zu beachten. Das mag lästig erscheinen, verhindert jedoch böse Überraschungen – für beide Seiten. Erfüllen Du und Dein Kunde alle Voraussetzungen, die zu einem für beide Seiten spannenden und erfolgversprechenden Shooting erforderlich sind, steht der Auftragsannahme nichts entgegen – auch wenn dieser noch so ungewöhnlich ist.


Hinweis: 0% des Textes ähnelt Online-Quellen


©2023 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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