Die Mär von Out of Cam

Jürgen Pagel

Warum sich eine Bildbearbeitung (immer) lohnt

Viele Hobbyisten lehnen das Bearbeiten ihrer Bilder ab. Sie fotografieren „Out of cam“ (OOC) im JPEG-Format oder veröffentlichen Ihre Bilder gar im RAW-Format.
Auch der Begriff „Straight out of cam” (SOOC) geistert durch die Medien. Beides soll meinen, dass die Bilder nicht bearbeitet wurden – also nicht manipuliert sind.

Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob Bilder im JPEG-Format tatsächlich unbearbeitet sind.
Die Frage ist relativ einfach zu beantworten. Unbearbeitete Bilder gibt es nicht. Jedes Bild durchläuft einen kamerainternen Bearbeitungsprozess. Das reicht von der kamerainternen Objektivkorrektur über das Schärfen der digitalen Informationen (ohne dies an der Kamera durch Einstellungen ändern zu können) bis hin zur Ausgabe einer RAW-Datei in ein JPEG-Format. All diese Prozesse lassen kein Bild – ich betone kein Bild – so aussehen, wie es als Betrachter wahrgenommen wird.
Wer also behauptet, seine Bilder seinen OOC oder gar SOOC, überlässt die Bildbearbeitung einem japanischen, chinesischen oder indischen Programmierer. Das an sich ist nicht schlimm und geht vollkommen in Ordnung. Nur zu behaupten, die Bilder seinen nicht manipuliert, ist schlicht falsch!

Beispiel 1
Dieses Bild wurde von
Stefan Schäfer zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Aufgenommen mit einer Sony A7III, 70mm, ISO 1250, f/4.0, 1/640.
Das ist die "unbearbeitete" Ver
sion als DNG-Datei - so wie sie aus der Kamera kam. Die Farben flau (wobei das Bild an sich kein umfangreiches Farbspektrum hergibt), wenig bis keine Struktur.

Beispiel 1
Das gleiche
Bild nach der Bearbeitung (durch mich) aus Adobe Lightroom, wobei das fertige JPEG noch einer zusätzlichen Nachbearbeitung durch Topaz AI (Denoising und Sharpening) unterzogen wurde. Dieses Bild ist sehr viel detailreicher, bietet mehr Struktur und Klarheit und demonstriert, was sich aus einer DNG-Datei mit ein paar Reglern alles herausholen lässt. Es wurde dabei nichts retuschiert, ausgetauscht oder hinzugefügt, sondern lediglich eine Grundbearbeitung vorgenommen und mit Masken optimiert - Dauer ca. 8 Minuten.

Wer also seine Fotos nicht bearbeiten möchte, geht zu Unrecht davon aus, dass die Kamera die Umwelt genauso wahrnimmt, wie der Fotograf selbst. Das scheint mir sehr naiv zu sein. Die Linsenpaarungen des Objektivs sind die ersten Bauteile, welche die persönliche Wahrnehmung verändern. Der Sensor, auf den das Licht trifft, wandelt die Signale um und erstellt daraus eine Vielzahl von Informationen, die letztendlich als Bild zusammengesetzt werden. Die Wahrnehmung wird durch den Sensor selbst ebenso beeinflusst, wie durch eine Vielzahl nachfolgender Bearbeitungsprozesse und das alles bei sogenannter „neutraler“ Einstellung der Kamera, also ohne jene Presets, die in einer Vielzahl – v.a. bei Fujifilm – zur Verfügung stehen. An diesen Prozessen ist nicht zu rütteln, selbst wenn alle „Regler“ auf null stehen.


Bei OOC könnte man sich vorstellen, dass es sich dabei um ein JPEG handelt (kameraintern bearbeitet). Der Begriff SOOC erschließt sich mir jedoch nicht. Eine RAW-Datei ist es jedenfalls nicht, denn genaugenommen ist eine RAW-Datei kein Bild, sondern ein Datensatz, der alle Informationen enthält, um daraus ein Bild zu machen. Die RAW-Datei setzt also bis zum endgültigen Bild sogar zwingend eine Bearbeitung voraus. Zusätzlich spielt auch noch der sogenannte RAW-Konverter eine erhebliche Rolle. Manche RAW-Konverter neigen nämlich dazu, das Ergebnis dunkler darzustellen, als es eigentlich ist. Der RAW-Konverter in der Kamera macht übrigens aus der RAW-Datei das ausgegebene JPEG-Bild. Auch hier ist bereits ohne jede weitere externe Bearbeitung der Begriff OOC fehl am Platz. Daher sehen die Bilder auch je nach Kamera unterschiedlich aus, obwohl keine externe Bearbeitung mittels Lightroom, Capture One und wie die Programme alle heißen mögen, stattgefunden hat.


Selbst zu Zeiten des Analog-Films hat es kein OOC oder SOOC gegeben. Niemand, wirklich niemand kam jemals auf die Idee, einem Betrachter den unentwickelten Negativ-Film in die Hand zu drücken, um die Bilder zu betrachten. Denn in dem Moment, wo derjenige das Celluloid von der Filmrolle zog, war es vorbei – auf alle Zeiten.
Schon damals hat man mit der Wahl des Films einen erheblichen Einfluss auf das Endergebnis genommen. Auch die Entwicklungschemie sowie die Entwicklungszeiten beeinflussten das Endergebnis enorm.
Selbst die Retusche ist keine Erfindung der Neuzeit. Schon damals wurde „gecropt“ (beschnitten), Überflüssiges entfernt und Flecken „hinzu gezaubert“.


Beispiel 2
Eine Landschaftsaufnahme in der Nähe der Burg Lichtenberg (nahe meines Wohnortes) - ein Zugang zu einem zur Burg gehörenden Weinberges. Oftmals daran vorbeigelaufen, aber nie wirklich wahrgenommen.
Aufgenommen mit
einer Nikon Z6II, 30mm, ISO 100, f/10, 1/200 am 23.07.23. Auch hier - wie im Beispiel 1 handelt es sich um eine RAW-Datei, wie sie mit "neutralen" Einstellungen aus der Kamera kam. Der Weißabgleich war dabei auf Automatik eingestellt. Die Farben flach, Struktur nicht wirklich vorhanden, schief dazu. Schönes Motiv - mehr aber auch nicht.

Beispiel 2

Das gleiche Bild als JPEG nach der Bearbeitung in Adobe Lightroom. Nichts hinzugefügt, nichts weggelassen, kleine Flecken entfernt, das war's. Ansonsten gezielter Einsatz der Regler und der hervorragenden Maskenfunktionen in Lightroom. Das sieht doch gleich ganz anders aus, oder und lädt zum Verweilen ein. Bearbeitungsdauer ca. 10 Minuten.

Mir scheint vielmehr, dass der Begriff „Manipulation“ inflationär interpretiert wird. Und dies hat in Zeiten der KI deutlich zugenommen. Aber sein Bild zu bearbeiten, heißt nicht automatisch, einen Himmel auszutauschen oder Dinge zum Motiv hinzuzufügen, die im Original nicht da waren.
Bildbearbeitung ist die Königsdisziplin der Fotografie und macht ein Bild überhaupt erst des Betrachtens wert. Wer mag sich schon eine flaue RAW-Datei anschauen? Extrem bearbeitete Bilder sind Geschmacksache, keine Frage. Knallig bunt, wo nichts Knalliges ist, scheint auch mir übertrieben zu sein. Im besten Fall geht das noch als Kunst durch. Im schlimmsten Fall ist das ein missratenes Foto, was sich aber durch das Vorhandensein der RAW-Datei noch „retten“ lassen würde.

Kritiker mögen nun einwenden, dass 10 Minuten Bearbeitungszeit für ein Bild ganz schön viel sind. Das macht theoretisch bei 100 Bildern ca. 16 Stunden permanenten Workflow. Bedingt richtig. Es kommt auf den Zweck und die Motive an. In der Landschaftsfotografie liegt der Ausschuss bei ca. 90%. Das heißt nicht, dass 90% der Bilder nicht gut sind. Aber sie sind nicht so gut, als das eine umfangreiche Bearbeitung lohnt. Von 100 Bildern bleiben also 10. Das entspricht dann ca. 1,5 Stunden Bearbeitungszeit und das ist durchaus realistisch. Und maximal zwei bis drei Bilder gehen an die Öffentlichkeit.


Die Bearbeitungszeit ist übrigens häufig ein Faktor, der bei der Kalkulation der Kosten für einen professionellen Fotografen gerne vergessen wird. Denn Bearbeitungszeit ist auch Arbeitszeit. Dazu jedoch hatte ich an anderer Stelle bereits einen Beitrag verfasst.


Fazit

Wer also behauptet, seine Bilder seinen OOC oder SOOC (was auch immer das bedeuten mag), bindet Ihnen einen Bären auf.
Sehr wahrscheinlich ist er nur zu faul, aus seinen Bildern das Optimum herauszuholen oder er hat gar kein Bildbearbeitungsprogramm, weil ihm Capture One in der Vollversion zu teuer ist oder das Abo-Modell von Adobe nicht mag. Sicher lässt er jedoch enorm viel Potenzial, das in seinen Bildern steckt, ungenutzt. Eigentlich schade.

Fujifilm-Enthusiasten verwenden gerne die hauseigenen Rezepte. Fantastisch, ich nutze sie selbst gerne. Die „Entwicklung“ der RAW-Daten wird dabei vollständig von der Kamera übernommen und heraus kommt ein fertiges JPEG und eine RAW-Datei, die im Nachhinein immer noch eine neutrale Bearbeitung zulässt. Und so, wie das Fujifilm programmiert hat, bekommt das kein anderer Hersteller hin. Nikon versucht mittlerweile, auch diesen Weg einzuschlagen, aber es mag ihnen (noch) nicht so recht gelingen. Aber all das ist schon mal gar nicht OOC, denn OOC und/ oder SOOC gibt es nicht!


©2023 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

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