KI in der Fotografie

Jürgen Pagel

KI in der Fotografie

Das Thema „Künstliche Intelligenz“ (Kurz: KI) ist in aller Munde. Dabei sind wir schon lange von der KI umgeben – sie ist also keineswegs so neu, wie uns viele (vermeintliche) Experten vermitteln wollen.

Optimal Systems schreibt dazu: „Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Oberbegriff für verschiedene Konzepte und die Definition variiert je nach Branche und Forschungsbereich. Eine Umschreibung von Künstlicher Intelligenz ist die eines Systems, das seine Umgebung (d. h. Input-Daten) “wahrnimmt” und menschliche Mechanismen der Verarbeitung und Entscheidungsfindung nachahmt, mit dieser Umgebung zu interagieren.

Die Bereiche der Künstlichen Intelligenz reichen vom Befolgen einfacher logischer Regeln bis hin zur Ausführung kreativer Aufgaben. Geschäftsanwendungen im Bereich der KI basieren meist auf Maschinellem Lernen, weshalb die Begriffe Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen im Wirtschaftskontext häufig synonym verwendet werden.“

Weiter: „Um eine vereinfachte Analogie zu verwenden: Stellen Sie sich vor, ein kleines Kind lernt den Begriff “Vogel”. Am Anfang wird es vielleicht jedes beliebige Tier als “Vogel” bezeichnen. Nach einer Weile wird das Kind jedoch gelernt haben, darauf zu achten, ob das betreffende Tier Federn, einen Schnabel oder ein hohes Zwitschern hat. Es wird gelernt haben, dass diese Merkmale wichtig sind, um die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, dass ein Tier ein Vogel ist. Andere Faktoren, wie z. B. die Frage, ob es Augen hat oder nicht, sind für diese Bestimmung weniger wichtig. Maschinelles Lernen funktioniert auf ganz ähnliche Weise.“

So finden wir KI in der Gesichtserkennung unserer Mobiltelefone, zur Identifizierung von Personen an „Türklingeln“, in der maschinellen Verpackung von Großgeräten, die zu bewegen für Menschenhand zu schwer wären, in der Erkennung freier Parkplätze in Parkhäusern bis hin zum Autofokus unserer modernen Kameras, die Vogel- von Hundeaugen, Federn und Flügel vom Fell eines Hundes und sich bewegende Autos von Menschen unterscheiden gelernt haben.


Wir haben längst die Angst vor der KI verloren, weil sie uns täglich umgibt. Warum nun sind viele Fotografen:innen nun so beunruhigt? Warum kaufen sie eine 2.000 Euro teure Kamera die über eine Vielzahl an Funktionen verfügt, die als das bezeichnet werden, wovor sie Angst haben? Warum nutzen sie Topaz AI, Lightroom oder Photoshop, wo doch gerade diese Anwendung nahezu ausschließlich auf Künstlicher Intelligenz basieren?

Mir erschließt sich das nicht. Warum soll ausgerechnet das, was wir in der Fotografie selbstverständlich jeden Tag nutzen, uns den Garaus machen?

Der Untergang der Fotografie wird wohl noch eine Weile warten müssen.
„Jeder Trend hat einen Gegentrend.“ [Zukunftsforscher Matthias Horx]

Die lange totgesagte analoge Fotografie ist nicht untergegangen. Im Gegenteil. Je komplexer und komplizierter moderne spiegellose Systeme werden, desto mehr sehnen sich viele nach der „guten, alten“ Zeit der analogen Spiegelreflexkameras zurück. Und nutzen sie. Eine Vielzahl alter Spiegelreflexkameras, die noch vor drei, vier Jahren für kleines Geld zu bekommen waren, sind heute auf dem Gebrauchtmarkt fast ein Vermögen wert. Beispiel: Ende 2020 kaufte ich mir eine neuwertige Rollei TE35 (immer noch die kleinste Kamera der Welt) für 80 Euro in einem bekannten Online-Portal aus der Auflösung einer Erbschaft. Heute werden für die gleiche Kamera 199 Euro Startpreis aufgerufen – mehr als eine Verdopplung des Preises binnen zwei Jahren. Und mit ihr kann man immer noch tolle Bilder machen.

Weitere Beispiel für den Nutzen von KI


KI-gestütztes Bokeh

Um ein Bokeh, also einen unscharfen Hintergrund zu erzeugen, wird in der Regel ein lichtstarkes Objektiv (f/1.2 bis f/2.8) mit weit geöffneter Blende benötigt. Die KI ermöglicht es jedoch, auch ohne teure Ausrüstung ein solches Bokeh zu erzeugen. Es hat nicht die Qualität wie das, welches mit einem lichtstarken Objektiv erzeugt wurde, aber der Laie sieht den Unterschied nicht. Und das ist entscheidend. Dem Betrachter muss es vor allem gefallen, denn gefällt es ihm nicht, schaut er das Bild gar nicht erst an.

Viele Smartphones verfügen bereits über einen Portraitmodus, wobei die Tiefeninformation genutzt wird, um den Hintergrund vom eigentlichen Motiv zu trennen.

Auch Bildbearbeitungsprogramme wie Photoshop oder Lightroom bieten Möglichkeiten, Bokeh mit Hilfe von KI zu erzeugen oder zu verbessern. Diese Programme nutzen Algorithmen zur Objekterkennung und Maskierung, um das Motiv vom Hintergrund zu isolieren und diesen anschließend mit verschiedenen Filtern und Einstellungen zu verwischen.


Intelligenz trifft Präzision

Der Autofokus ist eine vielgenutzte Funktion, bei der das anvisierte Motiv automatisch scharf gestellt wird. Vor allem bei sich bewegenden Motiven oder schlechten Lichtverhältnissen verhilft der Autofokus zu scharfgezeichneten Motiven. Doch nicht jeder Autofokus ist gleich gut. Manche sind schneller, präziser oder intelligenter als andere.

Der KI-gestützte Autofokus ist ein Autofokus-System, das von künstlicher Intelligenz unterstützt wird. Dies bedeutet, dass das System nicht nur auf Kontrast- oder Phasendetektion basiert, sondern auch auf Objekt- oder Gesichtserkennung. Das System kann das Motiv identifizieren, verfolgen und priorisieren und so den Fokus kontinuierlich anpassen.

Zwischenzeitlich sind etliche Systeme auf dem Markt, die nicht nur über eine Objekterkennung (Auto, Lokomotive, Fahrrad, Hund, Vogel u.ä.) verfügen, sondern auch unterschiedliche Augen erkennen können und sich auf diese automatisch fixieren (Tieraugen, menschliche Augen).

Übrigens ist jede Fotografie, die eine moderne Kamera ausgibt, bereits „bearbeitet“. Die kamerainterne Software führt eine vollständige Analyse des Bildmaterials durch und kann fertig bearbeitete Bilder im JPEG-Format ausgeben. Selbst ein RAW-Bild, also eine im vermeintlich unbearbeiteten Zustand ausgegebene Roh-Datei, wurde bereits einer internen Bearbeitung unterzogen, allerdings bleiben die Roh-Daten vollständig erhalten und erlauben eine umfangreichere Entwicklung, als dies bei JPEG-Dateien der Fall ist.


Kameras und Hardware

Ein Beispiel für eine eigenständige KI-Kamera ist die Google Clips. Diese kleine und tragbare Kamera nutzt eine KI namens „Moment IQ“, um automatisch Fotos von interessanten Momenten aufzunehmen, ohne dass man etwas tun musst. Die Kamera lernt von den Vorlieben des Nutzers und erkennt Gesichter, Ausdrücke und Bewegungen.


Bildbearbeitung mittels KI

In der Bildbearbeitung ist KI heutzutage nicht mehr wegzudenken. Bildbearbeitungssoftware nutzt KI-Algorithmen, um Fotos automatisch zu verbessern, indem sie beispielsweise Farben, Kontraste oder Schärfe anpasst. KI wird dazu verwendet werden, um Rauschen, Verzerrungen oder Unschärfen zu reduzieren oder zu entfernen.

Adobe Lightroom beispielsweise biete eine „Super-Resolution“-Funktion mit der die Auflösung eines Bilder vervielfacht wird. Topaz AI erlaubt nicht nur eine Vervierfachung der Auflösung, sondern greift massiv in die Schärfe und in das Rauschverhalten ein. Nichtvorhandene Pixel werden ein- und fehlerhafte Pixel rausgerechnet.

Diese Funktionen ermöglichen es, Fotos mit niedriger Auflösung in höherer Qualität zu vergrößern, indem sie fehlende Details künstlich rekonstruieren.


Fotomanipulation

Mit Hilfe von KI und im Besonderen des Deep Learnings lassen sich auch komplexe Fotomanipulationen realisieren, wie sie bisher nur von erfahrenen IT-Spezialisten durchgeführt werden konnten. So können Personen oder Objekte aus Fotos entfernt oder hinzufügt werden, Hintergründe verändert oder realistische Licht- und Schatteneffekte erzeugt werden. Diese Technologien eröffnen neue kreative Möglichkeiten für Fotografen und Bildbearbeiter, die ihre Ideen und Visionen mit weniger Aufwand und in kürzerer Zeit umsetzen möchten.


KI-gestützte Bilderkennung und -sortierung

Ein weiterer Anwendungsbereich der KI in der Fotografie ist die Bilderkennung und -sortierung. Diese Funktionen sind besonders für Fotografen von Nutzen, die mit großen Mengen an Bildmaterial arbeiten.


Eines steht außer Frage: mit KI lassen sich viele nützliche, das Leben erleichternde Maßnahmen ergreifen. Und da bekanntermaßen jede Medaille zwei Seiten hat, lässt sich damit auch eine Menge Unsinn anstellen. Das ist aber immer so, ohne jede Ausnahme und damit müssen wir uns – ob wir wollen oder nicht – auch als Fotografen auseinandersetzen. Täglich. Immer wieder auf’s Neue. Das mussten wir 1952 genauso, wie wir es 2030 werden tun müssen.


Fazit

Künstliche Intelligenz kommt in vielen Bereichen des täglichen Lebens UND in der Fotografie längst zum Einsatz und bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, seine Kreativität auszuleben, sich das Fotografenleben einfacher zu gestalten und gewinnbringend einzusetzen. 

Es ist ohne jeden Zweifel notwendig, sich damit auseinanderzusetzen und in seinen Workflow zu integrieren. So lässt sich das Beste aus allen Welten herausholen.

Und nur nebenbei – selbst in der Dunkelkammer eines Fotolabors kamen und kommen schon immer Mittel in Form von Chemikalien zum Einsatz, die aus einem tristen Einerlei die Vielfalt der Farben „hervorgezaubert“ haben. Wer also heute noch behauptet, seine Bilder unbearbeitet zu lassen, ist sich der Funktionsweise der Soft- und Hardware nicht bewusst und hat analoge Filme offensichtlich unentwickelt dem Kunden überlassen ;-).


Die Frage lautet also nicht: „Zerstört die KI die Fotografie?“ sondern „Wie intelligent sind die heutigen Fotografen:innen, die KI für ihre Zwecke gewinnbringend einzusetzen?“


©2023 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
Weitere Beiträge
Share by: