Sind KI-generierte Bilder Fotografien?

Jürgen Pagel

Sind mittels KI (Künstlicher Intelligenz) generierte Bilder Fotografien?

Folgender Text wurde bei Deep Dream Generator eingeben: "Create a photo of a portrait: round face, full lips, blue eyes and dark brown hair in a standing pose against a brick wall". Das Ergebnis mutet eigenartig an und ist weit vom erwarteten Bild entfernt.

Nun ist eine fotografische Bearbeitung – im allgemeinen Sprachgebrauch als Bildbearbeitung bezeichnet – keine Errungenschaft der Neuzeit. Schon immer haben Fotografen (und natürlich auch Fotografinnen) ihre Fotografien geschönt, retuschiert, haben etwas hinzugefügt bzw. entfernt.
Mittlerweile gibt es dafür beispielsweise von Adobe Programme wie Photoshop und Lightroom, die schon immer auf die künstliche Intelligenz gesetzt haben, ohne dass darüber groß Worte verloren wurden.

In die Diskussion gelangte die KI im Grunde erst durch den Berliner Fotografen Boris Eldagsen, der einen namhaften Fotopreis ablehnte, um eine Debatte über künstliche Intelligenz anzustoßen. Doch die hatte da schon längst begonnen.
Sein sepiafarbenes Schwarz-Weiß-Porträt zeigt zwei Frauen. Die Ältere legt der Jüngeren von hinten eine Hand auf die Schulter, die Jüngere hält eine Hand vor der Brust. Doch nicht das Bild, das wie ein melancholischer Schnappschuss der 40er Jahre wirkt machte Eldagsen über Nacht bekannt, sondern vielmehr die Ablehnung in der Kategorie „Kreativ“ des Sony World Photography Award, einem der wichtigsten Fotopreise weltweit.

Er habe das Werk für den Preis eingereicht, um eine Debatte über die Rolle von KI in der Fotografie zu entfachen, so Eldagsen im Interview der Deutschen Welle. Auch habe er herausfinden wollen, ob Fotowettbewerbe auf die Einreichung von KI-generierten Bildern vorbereitet seien oder nicht. Eldagsen’s Resümee: "Sie sind es nicht!" 

"Was ich daran liebe", sagt er, "zum ersten Mal sind die Älteren bei der technischen Revolution im Vorteil". Sie könnten dabei all ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringen - von der Fotografie über die Bildbearbeitung bis zur Bildkomposition. "KI ersetzt nicht den Menschen", sagt Eldagsen. "Ich bin wie ein Regisseur in einem Film. Ich bestimme, wohin es geht." Er sehe das nicht als Bedrohung für die Kreativität, auf ihn wirke das wie eine "Befreiung".

Schon besser. "photorealistic, portrait photo, man, mid-30s, beard, in a bar with a glass of wine". Aber was die Ki immer noch nicht darzustellen vermag, sind die Hände und die Finger.

Sind KI-Bilder Fotografie?

Auch bekommt die fotografische Bildsprache, wie Eldagsen meint, durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ein Eigenleben, das sich von dem Medium Fotografie ablöst. "Es ist falsch, von KI-Fotos zu reden, weil es suggeriert, dass es Fotografie ist. Doch KI-generierte Bilder sind nicht Fotografie!" Fotowettwerbe wie der Sony World Photography Award sollten vielleicht schon einmal über passende Kategorien nachdenken, schlägt der Berliner Fotokünstler vor. 


Ein Streit über Begrifflichkeiten führt hierbei nicht weiter. Geradezu inflationär werden Begriffe wie Foto, Bilder und Darstellungen verwendet, ohne zu definieren, was ein Foto eigentlich ist. Ein Versuch:


„Fotografie ist die Bezeichnung für ein Foto, das mit einer Kamera mit Film aufgenommen und anschließend mit speziellen Chemikalien und Verfahren bedruckt wird, die zu einem Foto auf lichtempfindlichem Papier führen. Es ist ein mechanischer Prozess, der reale Geräte, Chemikalien und einen Fotografen erfordert.“

Vom Ansatz her zweifelsfrei richtig, in der Formulierung mittlerweile jedoch falsch, da für heutige fotografische Prozesse bis auf wenige Ausnahmen keine Chemikalien notwendig sind. Zu analogen Zeiten zutreffend, ist das heute nicht mehr so.


Bilder sind der Oberbegriff, unter dem auch Zeichnungen, Gemälde, Fotografien, Grafiken und mehr verstehen. Fotografien sind das, was Fotografen mithilfe einer Kamera belichten. Viele Begriffe jedoch verwenden das „Bild“: Bildgestaltung wird selten als Fotogestaltung bezeichnet.


So spricht man von einer Bildbearbeitung, obwohl es eigentlich Fotobearbeitung heißen müsste. Lightroom, Capture One und andere Bildbearbeitungssoftware liefern keine Bildbearbeitung, sondern eine Fotobearbeitung. Dabei stellen wir fest, dass unsere Sprache Gewohnheiten widerspiegelt, anstatt Wert auf Präzision zu legen.

Bei Google wird kaum jemand nach „Fotobearbeitung“ (1.300.000 Treffer) suchen. Viel mehr wird nach der „Bildbearbeitung“ (11.400.000 Treffer) gesucht. Und wer sucht nach „Fotografin“ (8.640.000 Treffer) anstelle von „Fotograf“ (157.000.000 Treffer)? Da muss dann Absicht dahinterstecken, weil jemand gezielt eine Fotografin sucht.


Fast perfekt, wenn auch die Proportionen auf den ersten Blick etwas eigenartig anmuten.

Der Fotojournalismus sei durch Fake-Bilder massiv bedroht, glaubt Eldagsen. "Das liefert eine riesige Angriffsfläche für Desinformation, was unsere Demokratie angreifbar macht." Er wirbt denn auch für eine Kennzeichnungspflicht für journalistische Bilder: "A für authentisch, M für manipuliert und G für generiert." Die Zukunft der Fotografie sieht Eldagsen durch KI nicht bedroht, aber offen: "Die Entwicklung wird weiterhin so schnell sein. Es wird viel passieren. Und wir werden sehr überrascht sein."


Die künstliche Intelligenz wird die Fotografie massiv beeinflussen. Aber – meine Meinung – nicht vollständig ersetzen (können). Fotografie ist mehr. Fotografie ist Emotion, Herzblut, Bildgestaltung, Ausdruck der Fotografie im Kontext, kann nehmen und geben. Sie kann Entscheidungen beeinflussen und Stimmungen verbreiten. Vielleicht müssen wir uns dessen bewusstwerden, statt eine Fotografie als bloßes Bild zu betrachten. 


Fazit

Die KI – also generierte Bilder – werden in den Bereichen die Fotografie verdrängen, wo es um die bloße Darstellung von „etwas“ geht. Ein nichtssagendes Gebäude, eine Gruppe seelenloser Menschen, die Dose eines Getränkes, die austauschbare Jacke, die industriell millionenfach maschinell gefertigt wurde.
Die KI wird dort weiter erheblich an Einfluss gewinnen, wenn es darum geht, einer fotografisch gelungenen Aufnahme den letzten Schliff zu verpassen. Dort, wo Kontrast und Struktur, mehr oder weniger Licht in der Lage ist, Akzente zu setzen, um das Auge des Betrachters zu lenken. So lebt die Food-Photography ebenso wie Teile der Product-Photography von Emotionen, die mit der Fotografie vermittelt werden (sollen). Das wird sich durch die KI nicht vollständig ersetzen lassen.

Andere Bereiche werden der KI vollständig zum Opfer fallen. Diese Art des Fortschritts wird sich nicht aufhalten lassen und es wird zwangsläufig weniger Fotografen geben, die mit schweren und großen Kameras „bewaffnet“ durch die Lande ziehen. Diese werden sich künftig vielmehr fragen, ob die gleiche Arbeit nicht am PC oder Mac erledigt werden könnte.


Ich kann mich natürlich irren (was bisher noch selten geschehen ist), aber ich denke, dass der Weg so falsch nicht ist. Für jeden Fotografen wird ein Stückchen vom Kuchen abfallen. Voraussetzung dafür werden ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität sein. Wer dabei nicht mitspielt, hat verloren. „Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit“.


©2023 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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