Alles kann, nichts muss

Jürgen Pagel

Alles kann, nichts muss!

Wie der Zufall so spielt, las ich einen Post in Instagram, in dem dieser Satz vor kam. Nicht im Zusammenhang mit der Fotografie. Es ging um's Glücklichsein und so allerlei philosophischem Kram.

Was bedeutet das eigentlich?
"Dein freier Wille! Im Grunde ist alles, was wir tun oder nicht tun, letzten Endes „freiwillig“." Liest man da. Und tatsächlich steckt ein tiefer Sinn dahinter.

Im ersten Moment denke ich, wie du wahrscheinlich auch: So ein Quatsch. Ich kann doch nicht meinen Job aufgeben. Ich muss doch dieses und jenes noch fertig machen. Ich muss Geld verdienen.

Auf all das kann ich dir nach reiflicher Überlegung antworten: Nein, musst du nicht. Du musst nur eins und das ist mit den Konsequenzen deines Handels (z.B. etwas nicht zu tun) leben zu lernen. Natürlich hat es Auswirkungen, wenn du von heute auf morgen sagst, dass dir dein Job keinen Spaß mehr macht, du ihn aber nicht so einfach kündigen kannst. Doch, kannst du. Es gibt eine gesetzliche Kündigungsfrist von vier Wochen, innerhalb derer du dich von denen Arbeitgeber trennen darfst (es sei denn, ihr habt eine längere Frist vereinbart). Dann bist du frei. Klar, dann verdienst du kein Geld mehr und das Leben wir ein wenig schwieriger. Aber du kannst dir einen neuen Job suchen. Jetzt wirst du antworten: Ja, aber dann verändert sich mein Leben total. Ja, das tut es. Das ist die Konsequenz.

Ok, das Spiel kann man (wenn man will) ewig treiben. Fakt ist, du kannst - wenn du willst - dich jederzeit entscheiden, etwas anderes zu tun. Oder zu stricken oder zu malen oder was weiß ich. Zum Beispiel auch fotografieren. Und jetzt sind wir beim Thema.

Schau dir beispielsweise dieses Bild an. Schief, klar. Aber bearbeitet. Trotzdem schief. Obwohl man doch immer sagt, du musst den Horizont gerade richten. Aber es geht auch so.

Oder das. Manch einer würde sagen, es ist verwackelt. Nein ist es nicht. Der Mann bewegt sich und die Belichtungszeit war absichtlich so gewählt, dass man die Bewegung erkennt. Es ist ja schließlich ein Foto, ein Moment und kein Video. Ein Bild muss also nicht scharf sein.


Schärfe. Das ist ein gutes Stichwort. Heute betreiben viele sogenanntes Pixelpeeping. Sie vergrößern so lange, 100%, 200% oder gar 400%, bis man jedes einzelne Pixel erkennt, auf der Suche nach der Schärfe, die natürlich in der Vergrößerung zur Makulatur werden muss. Ist Schärfe der Schlüssel zu einem guten Bild? Ja, irgendwie schon. Aber warum? Das war doch vor der Einführung digitaler Kameras auch nicht so und niemand würde behaupten, dass Bresson ein schlechter Fotograf war. Obwohl man in seinen Fotografien lange nach der Schärfe suchen musste.


Was ich damit sagen will: Regeln sind ja nett. Sie sind aber nur so gut oder so schlecht, wie diejenigen, die sich daran stoßen und meinen (ihrer Meinung nach), dass sich das anders gehört. Letztenendes ist das immer eine Frage des Betrachters. Manche finden Joseph Beuys total toll. Ich fange mit seiner Art der Kunst nichts an. Manche stehen minutenlang vor einem Gemälde, sind total fasziniert und andere wiederum gehen achtlos vorbei.


Ah, da fallen mir gerade ein paar Bilder ein, die mir meine liebe Frau gestern aus Italien geschickt hat.

Übrigens mit einem iPhone 8 aufgenommen und nur geringfügig nachbearbeitet. Warum eigentlich? Musste das sein? Nein, musste nicht. Hatte halt Lust darauf ;-). Beeindruckend oder?


Es scheint also so zu sein, dass wir gefangen in unseren Gewohnheiten und dem Vertrauten uns ganz bewusst dazu entscheiden, etwas nicht zu tun. Oder es eben genau aus diesem Grunde doch tun.
Und da sollten wir uns gar keine Kopf darüber machen. Wenn jemand schiefe Bilder toll findet, dann ist das so. Punkt. Niemand hat das zu kritisieren. Außer, er wird nach seiner Meinung gefragt (an dieser Stelle wieder der Hinweis, das ich nicht gendere - weil ich das nicht muss und nicht will und selbst wenn ich es müsste, würde ich es nicht tun).


Wir sollten alle ein bisschen freier werden. Oder besser: UNS FREIMACHEN. Freimachen von der Last allzu vieler Regeln. Wir sind uns einig, Regeln müssen sein. Aber wenn sie unser Leben nur noch einschränken, uns die Luft zum Atmen nehmen, dann sollten wir aufhorchen. Atmen müssen wir übrigens nicht müssen. Das ist ein Reflex, aber du kannst ihn unterdrücken. Ok, wenn du nicht mehr atmest, dann stirbst du. Das musst du dann wohl auch. Das ist die Konsequenz deiner Entscheidung, nicht mehr zu atmen.


Eigentlich verweigere ich mittlerweile das Impfthema, dennoch ist es ein schönes Beispiel für Freiheit.
Jemand entscheidet sich gegen die Impfung. Das darf er, denn sie ist freiwillig. Er trifft also eine ganz eigene Entscheidung (siehe oben), denn er MUSS sich nicht impfen lassen. Also muss er als Konsequenz damit leben, dass er die eine oder andere Einschränkung erfährt. Wer sich dafür entscheidet, muss mit kurzfristigen Nebenwirkungen leben. Wir haben also auch hier die Freiheit, uns selbst zu entscheiden. Sollte eine Impfpflicht für Berufe im Gesundheitswesen eingeführt werden, dann hat jeder die freie Wahl, seinen Job zu behalten oder etwas anderes zu machen. Seine Entscheidung. Will er seinen Job behalten, muss er sich eben für die Impfung entscheiden. Jeder kann das tun, was ihm wichtig erscheint. Je nach eingeschlagenem Lebensweg.


Sicher kann man darüber stundenlang diskutieren und wird zu keinem tragfähigem Ergebnis kommen. Zu unterschiedlich sind die Menschen mit ihren Auffassungen und Interpretationen.


Aber genau das MUSS auch nicht sein. Wir können doch Freunde bleiben. Nur weil jemand eine andere Auffassung von einem Lebensweg hat, muss man sich doch nicht gleich prügeln und auf die Straße gehen, um damit andere in ihrer Freiheit zu beschränken, wie selbstverständlich.

Und so ist das - wir sind ja schließlich im Themenfeld der Fotografie - schließlich auch mit dieser selbst.
Jeder Fotograf kann frei entscheiden, ob er ein Bild unter-, korrekt- oder überbelichtet. Beispielsweise bezeichnet man "korrekt" überbelichtete Bilder als High Key - Fotografie. Wenn dir das gefällt, dann mach es. Du darfst dem Ding ruhig den richtigen Namen geben.

Fazit

Langer Rede - kurzer Sinn. Mach, was du willst. Regeln zu kennen ist gut. Sie bewusst zu umgehen, ist auch gut. Regeln umzusetzen ist gut, sie zu umgehen unterscheidet dich von der Masse und macht ein Bild u.U. interessant. Willst du deine Bilder verkaufen, darfst du getrost damit leben, dass deine Bilder nicht dem Zeitgeist entsprechen und niemand sie schön findet. Ist dann halt so. Das mag dir gefallen oder nicht. Egal. Viele Künstler sind erst nach ihrem Tod wirklich berühmt geworden. Alles ist nur eine Frage der Zeit.


Ich wünsche dir noch eine gelassene Woche.


©Jürgen Pagel 2021 LICHTWERK.DESIGN

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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