Lohnt sich eine neue Kamera?

Jürgen Pagel

Lohnt sich eine neue Kamera?


Diese Frage ist ebenso einfach wie schwierig zu beantworten: Kommt darauf an (Achtung, das wird weder eine Kaufempfehlung noch eine Kritik an bestehenden Systemen).

Analysieren wir doch einmal die Ausgangssituation - unabhängig der Neuerscheinungen der vergangenen Wochen (beispielsweise FUJIFILM GFX 50 SII im Mittelformat sowie X-T30 II).
Folgende Fragen solltest du dir dazu stellen:
  1. Wofür benötigst deine bisherige Kamera?
  2. Beabsichtigst du, dein Portfolio zu erweitern oder zu verändern?
  3. Bist du mit deiner bisherigen Kamera zufrieden?
  4. Fotografierst du mehr, als das du filmst?
  5. Filmst du mehr, als das du fotografierst?
  6. Was machst du mit den Bildern - speichern zur eigenen Verwendung, ausdrucken bis DIN A4 oder ausdrucken im Großformat?
  7. Verdienst du mit der Fotografie oder der Videografie dein Geld?
  8. Bist du Technik-Nerd und hast stets gerne die neueste Ausstattung?
  9. Kannst du dir das leisten? Wieviel bist du bereit, auszugeben?
  10. Möchtest du dir das leisten?
  11. Was sagt deine Frau/ Freundin oder dein Mann/ Freund (oder jegliche andere Kombination) dazu?
  12. Müsstest du einen Systemwechsel vornehmen oder kannst du deine bisherigen Objektive weiter verwenden (adaptieren mittels Connector wäre die schlechtere Wahl)?
Beantworten wir der Reihe nach die Fragen:
1. Wofür benötigst du deine Kamera?
Das kommt letztendlich darauf an, ob du Hobby, semiprofessioneller oder Berufsfotograf bist. Und darauf, was du vornehmlich fotografierst. Freihand? Dann ist ISIS eine feine Sache. Landschaften? Dann solltest du sicher einen hohen Dynamikumfang haben und der ist beispielsweise bei einer Mittelformatkamera wie der GFX 50 SII deutlich höher, als bei einer APS-C oder beim Kleinbildformat. Brauchst du in der Landschaft einen schnellen Autofokus? Definitiv nein. In der Regel hast du alle Zeit der Welt und sehr wahrscheinlich bist du sogar rein manuell unterwegs, damit du den Schärfebereich selbst bestimmen kannst. Gleiches gilt übrigens auch für die Natur- und die Makrofotografie. Pflanzen können nun mal nicht weglaufen.
Fotografierst du Portraits? Nun dann sollten die mit einer Kleinbildformat- oder APS-C eindrucksvolle Aufnahmen gelingen, die mit einer fast 5.000 Euro teuren Kamera kaum besser werden.
Tierfotografie? Ok, dann profitierst du wiederum vom hohen Dynamikumfang eines größeren Sensors, von einem schnellen Autofokus und der Möglichkeit, deinen Bildausschnitt in der anschließen Bildbearbeitung nahezu beliebig wählen zu können. Das bringt uns schon zur nächsten Frage.

2. Beabsichtigst du, dein Portfolio zu erweitern oder zu verändern?
Wenn das nicht der Fall ist und du mit deinem bisherigen Portfolio zufrieden bist, nach jahrelanger Sucherei deinen Stil gefunden hast, warum willst du dann so viel Geld für eine neue Kamera ausgeben? Die Antwort würde dich vielleicht zur Frage 8 führen. Wenn du die allerdings mit einem eindeutigen Ja beantwortest, erübrigt sich sowieso die ganze Diskussion, denn das hat nichts mehr mit Vernunft zu tun ;-).
Also klare Ansage: bleibt dein Portfolio gleich und du beabsichtigst auch in naher Zukunft keinen Wechsel, dann lass alles beim Alten. Klar ist es immer besser, etwas zu haben, als zu brauchen. Aber irgendwie ist das auch eine Frage des Preises und was man sonst für das Geld bekommt. Hier wäre eine Investition in ein besseres Objektiv (sofern die tatsächlich wirklich besser werden) die bessere Wahl.

3. Bist du mit deiner bisherigen Kamera zufrieden?
Ja? Das ist doch toll. Freue dich daran und mache weiterhin tolle Fotos - mit der Kamera, die du im Moment nutzt.

4. Fotografierst du mehr, als das du filmst?
Eine wichtige Frage, wie auch die folgende Frage 5. Wenn du deutlich mehr filmst, als du fotografierst, würde es Sinn machen, sich nicht für eine eierlegende Wollmilchsau (die es übrigens genauso wenig gibt, wie den Wolpertinger in Bayern) zu entscheiden, sondern für eine wirkliche Filmkamera, die dir mindestens 4K bei 60 FPS bietet. Wenn du mehr fotografierst und mit deiner bisherigen Ausrüstung zufrieden bist und auch dein Portfolio nicht veränderst, dann schließe deine Überlegungen an dieser Stelle ab. Bisweilen macht es Sinn, einfach auch mal Fünfe gerade sein zu lassen.

5. Filmst du mehr, als das du fotografierst?
Dann mindestens 4K mit 60 FPS plus Drohne (DJI Mavic Pro o.a.). Ansonsten siehe Frage 4.

6. Was machst du mit den Bildern - speichern zur eigenen Verwendung, ausdrucken bis DIN A4 oder ausdrucken im Großformat?
Auch nicht unrelevant. Ich persönlich bin ja der Meinung, das ein fotografisches Werk erst wirklich abgeschlossen ist, wenn man die Abzüge in der Hand hält; wenn man seine Lieblingsbilder mindestens DIN A4 ausgedruckt, gerahmt und an die Wand gehängt hat. Aber ich respektiere gerne andere Meinungen. Der Profifotograf druckt auch nicht alles aus - da hätte er viel zu tun. Ist aber der Druck (egal ob hausintern oder extern) ein fester Bestandteil deiner Auftragsarbeiten, dann wäre noch die Frage, wie groß. 12 MP reichen in aller Regel bis DIN A4. Großformatig sollten es dann schon 24 MP oder mehr sein (die FUJIFILM GFX 50 SII hat z.B. 54 MP - das ist schon ordentlich). Machst du das also nicht, dann solltest du auch keine neue Kamera benötigen.

7. Verdienst du mit der Fotografie oder der Videografie dein Geld?
Wenn du diese Frage mit einem klaren Ja beantworten kannst, wobei ich hierbei nicht die "schmale Mark" nebenbei meine, dann kann sich ein solcher Invest durchaus lohnen. Das ist schon eine ordentliche Mehrwertsteuer, die sich ganz gut steuerlich verwerten lässt. Auskunft darüber gibt die dein Steuerberater oder ein Steuerbearbeitungsprogramm bzw. deine Buchhaltung. Vor allem pünktlich zum Jahresende ist das interessant, wenn man schon in etwa weiß, welche steuerliche Last einen erwartet. Sage bitte nicht "kein Problem, ich kann das ja absetzen". Ja, kannst du, aber bezahlen musst du es natürlich trotzdem.
Ansonsten siehe Punkt 1-4.

8. Bist du Technik-Nerd und hast stets gerne die neueste Ausstattung?
Ja? Dann ist jedwede Überlegung überflüssig. Kauf das Ding. Vernunft spielt keine Rolle. Emotionen sind alles und Technik ist sowieso das Highlight des Jahres. Wenn nein, dann brauchst du das auch nicht. 

9. Kannst du dir das leisten? Wieviel bist du bereit, auszugeben?
Klingt irgendwie blöd, ist aber durchaus ernst gemeint. Bisweilen überkommen einen die Emotionen und man verliert schnell die Sachlage aus den Augen. Wenn du einem Schwaben sagst "das kannst du dir sowieso nicht leisten", dann kauft er es garantiert, denn so etwas kann er nicht auf sich sitzen lassen ;-).
Bedenke, 4.000 € und gerne auch mal deutlich mehr, sind eine Menge Holz. Ich würde das außerhalb des Geschäftsleben nicht auf Pump finanzieren wollen. So günstig kann kein Zinssatz sein. Setze dir im Rahmen deiner Möglichkeiten Grenzen.

10. Möchtest du dir das leisten?
Auf was würdest du einer neuen Kamera zu lieber verzichten wollen? Auf deinen Urlaub, auf ein Jahr lang jede Woche mit deiner Partnerin oder deinem Partner schön Essen zu gehen? Oder willst du alles zusammen? Ich kann dir das nicht wirklich beantworten - das musst du schon selber machen.

11. Was sagt deine Frau/ Freundin oder dein Mann/ Freund (oder jegliche andere Kombination) dazu?
Auch das ist nicht unwichtig. Ich habe einige Jahre Golf gespielt. Meine Frau nicht. Die fand Golfen immer total doof. Jeder Sonntag, den ich morgens um 07:00 Uhr auf ein Turnier fuhr und abends frühestens wieder um 22:00 Uhr zu Hause war, endete im Streit. Wirklich jedes Mal. Es nervt ohne Ende, wenn dir dein Partner bei jeder Kameranutzung vorwirft, was man sich hätte alles leisten können, wenn diese blöde Kamera nicht wäre. Es nervt, wenn du dir jedesmal blöde Kommentare anhören musst, was du das alles wieder mitschleppst - obwohl es nur EINE Kamera und EIN Objektiv sind. Also trefft solche Entscheidungen gemeinsam oder redet zumindest darüber. Ich schreibe aus Erfahrung ;-). Wohl dem, der alleine lebt und niemanden fragen muss.

Und schon kommen wir zur letzten Frage.
12. Müsstest du einen Systemwechsel vornehmen oder kannst du deine bisherigen Objektive weiter verwenden (adaptieren mittels Connector wäre die schlechtere Wahl)?
Das ist "eigentlich" die Wichtigste. Systemwechsel werden in aller Regel richtig teuer. Die Kamera schlägt mit 5.000 € zu Buche. Für eine komplette Vollformat- oder Mittelformatausstattung (Letztere spielen noch einmal in einer ganz anderen Liga) werden durchaus bis 5.000 € fällig. Wir sind dann also in der fünfstelligen Größenordnung. Das solltest du bedenken. APS-C Objektive auf Vollformat geht, bringt aber deutliche Nachteile mit sich.
Die Adaption an Mittelformat ist nicht möglich. also unbedingt vorher informieren, was geht und was nicht.

Fazit
Du siehst (oder liest), das so eine Entscheidung nicht wirklich einfach - oder eben doch. Es kommt auf deine Antworten an, die du dir selbst gibst oder im Gespräch mit Experten oder guten Freunden bekommst. Es gibt einiges zu bedenken. Das solltest du auch tun. Ich persönlich bin - wie nahezu jeder Fotograf - durch diese harte Schule gegangen und habe manche Fehlentscheidung getroffen. Alle haben sich glücklicherweise mit geringen Verlusten revidieren lassen. Hart war es trotzdem. Höre nicht auf die Hersteller, die wollen verkaufen und das ist vollkommen legitim - nichts Verwerfliches ist daran. Höre auf erfahrene Fotografinnen und Fotografen, auf solche, die schon viel Geld für Sachen ausgegeben haben, die sie hinterher nicht brauchten.

Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Erfolg bei deinen künftigen Entscheidungen und bedenke:
"Die Kamera selbst kann gar nichts. Da ist ein bisschen Magnesium, Plastik und ein wenig Glas. Der Schlüssel zum guten Bild und zum Erfolg in der Fotografie bist DU (und das Objektiv)."

©Jürgen Pagel 2021 LICHTWERK.DESIGN

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Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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