Macht Dich die Filmfotografie besser?

Jürgen Pagel

Macht Dich Filmfotografie zu einem besseren Fotografen?

Sehr oft hört man von Fotografen, fotografierenden YouTubern und (vermeintlichen) Experten, dass die analoge Fotografie einen besser macht, weil man sich vollkommen auf das Motiv konzentriert, man im besten Fall nur 36 Bilder auf der Filmrolle hat und eben nicht einfach drauflos „knipst“. Zudem sei der Prozess der Entwicklung noch einmal etwas Besonderes, der bei einer Dosenentwicklung in der heimischen Waschküche gut und gerne eine Stunde dauert. Trocknungszeit und Scannen bzw. Abfotografieren der Negative nicht mit eingerechnet.

Was mich aber am meisten stört, ist die dogmatische Sichtweise, dass Digital-Fotografen alle „Knipser“ sind.

Ist das wirklich so?
Mitnichten. Sowohl unter den analogen wie auch den digitalen Hobbyisten sowie Profis gibt es eine Vielzahl herausragender Fotografen, die nicht nur Spaß am Fotografieren haben, sondern auch großartige Bilder komponieren.

Zuerst wäre da einmal mehr der Preis.
Zwischenzeitlich kosten drei Rollen Kodak Gold 200 ca. 45 Euro, also 15 Euro für 36 Bilder. Ich fotografiere im Jahr ca. 20.000 Bilder (insgesamt – gute wie schlechte). Hochgerechnet wären das immerhin 8.333 Euro ohne Entwicklungskosten, also ca. 10.000 Euro pro Jahr.
Ich weiß, das ist reine Theorie. Aber selbst dann, wenn ich nur die Hälfte fotografiert hätte, weil ich bewusster an ein Motiv herangegangen wäre, sind das immer noch 5.000 Euro pro Jahr.
Kein gutes Argument für die analoge Fotografie. Gut, dass es heutzutage deutlich einfacher und günstiger geht.

Einmaligkeit einer Fotografie
Viele Fotografien fangen einen besonderen Moment ein. Das Lachen eines Kindes, das Weinen einer alten Frau, die komischen Verrenkungen des Vaters bei der Geburtstagsfeier seines Sohnes, die Bilder der Familienfeier zu Opa’s 70zigsten, die Landschaft im Sonnenuntergang. Mit Ausnahme der Produktfotografie, deren Bilder meist problemlos reproduzierbar sind, bannen wir Einmaliges auf Zelluloid bzw. auf die Speicherkarte.
Wer aus der Zeit der analogen Fotografie kommt oder sich schon einmal damit beschäftigt hat weiß, wie schnell solche Bilder über- oder unterbelichtet werden, dass der Fokus auch mal gewaltig daneben sitzt, im schlimmsten Fall gar kein Film eingelegt war, der Film einen Fehler hatte oder bereits abgelaufen war, ohne dass wir das im Eifer des Gefechts gemerkt haben. Fatal. Alles vergebens. Nicht so bei der digitalen Fotografie. Lieber ein paar Bilder mehr gemacht, den Standort oder die Perspektive gewechselt, einige Serienaufnahmen gemacht, ohne ein schlechtes Gewissen hinsichtlich der aufkommenden Kosten zu haben.
So sind wir in der Lage, Einmaliges jederzeit und an jedem Ort festzuhalten und können bei schlechten Lichtverhältnissen jederzeit die ISO ändern und anpassen. Bei analogen Filmen ist die ISO nach dem Einlegen des Filmes in die Kamera nicht mehr veränderbar. Das bedeutet im ungünstigsten Fall, dass wir analog gar kein Foto haben. In der digitalen Fotografie haben wir wenigstens ein schlechtes Bild, das sich mit der entsprechenden Bildbearbeitung sogar noch retten lässt.

Übung macht den Meister

Wir lernen, in dem wir Wissen vermittelt bekommen und mit diesem Wissen in die Praxis gehen, Erfahrungen sammeln. Dazu bedarf es einer hohen Anzahl an Repetitionen. Das gelingt mit einer Filmkamera nur nach vielen Jahren des regelmäßigen Fotografierens. 20.000 analoge Bilder „verschießt“ Du nicht mal einfach in einem Jahr. Auch als Profi nicht. Zum einen wegen der Kosten, zum anderen wegen dem Faktor Zeit. Denn Fotografie braucht Zeit. Für den schnellen Schnappschuss nebenbei reicht das Handy. Aber eine Bildkomposition zu erstellen und ein wirklich gelungenes Bild einzufangen, braucht nun mal etwas Zeit.


Da ist es doch großartig, dass wir mit der modernen Systemkameras ein Werkzeug in der Hand halten, mit dem wir ausprobieren, experimentieren können. Wenn’s nichts wird, dann eben noch mal und noch mal. So oft wir wollen bzw. so viel Platz auf der Speicherkarte ist.
Der Profi wird hierbei nicht anders vorgehen. Denn ein misslungenes Portraitshooting lässt sich ggf. wiederholen. Aber das ist ein immenser Aufwand. Deswegen macht gerade der Profi lieber ein paar Bilder mehr von der Familienfeier oder der Hochzeit, damit er auf jeden Fall etwas „im Kasten“ hat – denn er muss liefern. Der Kunde zahlt schließlich auch für das Ergebnis viel Geld. Der Hobbyist kann hier etwas entspannter bleiben.
Aber auch er lernt von der ständigen Wiederholung und entwickelt so seinen eigenen Stil.

Die Aussage, dass die analoge Fotografie zu einem bewussteren Fotografieren führt, weil man weniger Bilder macht, ist also schlicht falsch.


Die Suche nach dem Motiv

Was soll mich als digitaler Fotograf daran hindern, mich bewusst auf die Suche nach Motiven zu begeben? Meine Systemkamera? Wohl kaum. Warum sollte ich mit einem Film im Apparat bewusster mit meinem Motiv umgehen als mit einer Systemkamera? Mir will kein Grund dafür einfallen.

Die analoge Fotografie macht mich keineswegs bewusster. Ich muss viel mehr Zeit für die Einstellungen der Kamera aufbringen und kann mich eben nicht auf meinen Autofokus aus den siebziger Jahren verlassen. Ich muss u.U. ausschließlich manuell fokussieren, was bei sich nicht bewegenden Motiven keine Probleme bereitet. Aber bei durch das Bild laufenden Menschen oder Fahrzeugen sehr wohl. Ich fotografiere in der Landschaft oder bei der Betrachtung von Architektur sehr gerne manuell – ich finde das viel besser, als den Autofokuspunkt verschieben zu müssen. Aber in der Mehrzahl des Fotografierens kommt mir die Technik heutiger Systemkameras sehr entgegen. Vieles ist deutlich einfacher geworden und warum sollte ich auf Technik verzichten, wenn sie mir mehr Nutzen bringt?


Warum trotzdem analog Fotografieren?

Für Anfänger bzw. Einsteiger ist die analoge Fotografie m.E. nicht geeignet. Der Einsteiger hat keine Lust, sich mit dem Belichtungsdreieck auseinander zu setzen und Filmrolle um Filmrolle für teures Geld zu kaufen, bis sich erste Erfolgserlebnisse einstellen.
Thomas A. Edison sagte einmal so schön: „Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.“ Ausprobieren, Fehler erkennen, nochmal ausprobieren und es dann (hoffentlich) besser machen – so geht lernen. Wenn das jedoch in tausende Euro pro Jahr mündet, sind diese weitaus besser in Objektive investiert als in Zelluloid. Wer jedoch das Prinzip der Fotografie verstanden hat, für den ist es eine absolute Bereicherung, sich mit der Technik alter Kameras zu befassen und er wird schnell das Verständnis für die Funktionsweise und die Regeln über Licht, ISO und Blende festigen lernen.


Fazit

Analoge Fotografie macht Dich nicht zu einem besseren Fotografen, auch wenn das noch so viele YouTuber behaupten. Sie erweitert auch nicht Dein Portfolio als Fotograf, denn kaum ein Kunde wird heutzutage Wert auf Fotos in altem Look legen, zumal sich das mittels Bildbearbeitung durchaus effektvoll nachahmen lässt, sollte es gewünscht sein oder sollte es Dir selbst gefallen.
Wer dem durchaus vorhandenem Charme alter, analoger Kameras unterliegt, wird viel Freude daran haben, sofern er über die notwendige Zeit dazu verfügt. Wenn nicht, wäre es eine Überlegung wert, sich die Zeit dafür zu nehmen. Somit wäre zumindest das Ziel der Entschleunigung erreicht.


©2023 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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