Objektive - die Bedeutung in der Fotografie

Jürgen Pagel

Objektive - die Augen der Kamera

Leider - und das ist eine offene Kritik an die Adresse vieler (natürlich nicht aller) Fotohändler - wird eine Kamera allzu oft mit einem sogenannten Kit-Objektiv verkauft. Dabei handelt es sich ausnahmslos um preiswerte Objektive im Zoombereich, mit denen der Käufer sofort mit dem Fotografieren beginnen kann. An sich eine gute Idee. Allerdings stellen diese Kit-Objektive den Kunden nur in Ausnahmefällen zufrieden. Sie sind nicht besonders lichtstark, d.h. die Offenblende beginnt bei f/3.5 und endet bei f/6.3 oder f/6.5. Das mag für den Anfang ausreichend erscheinen, ist es aber nicht. Gerade bei einer APS-C-Kamera entspricht die Bildwirkung - bedingt durch den Crop-Faktor - bei einer Blende von f/3.5 an einem Vollformat-Kamera, der einer Blende von f/5.3 an einem APS-C-Body. Das hat vor allem am oberen Ende unter Umständen eine nicht gewollte Hintergrundschärfe zur Folge. Zumal ein Zoomobjektiv gerade bei Anfängern dazu führt, dass man nicht den Standort wechselt, sondern den Zoombereich des Objektivs voll ausnutzt. Ohne IBIS (In Body Image Stabilization) werden so ohne Erfahrung Belichtungszeiten von 1/80 und länger mit 70mm Brennweite zu einem wackeligen Abenteuer. Und dann wundert sich der Laie, dass seine Bilder einfach nicht scharf werden wollen.
Schnell geht die Lust am Fotografieren verloren und die Kamera samt Objektiv landet im Schrank.

Wie sollte nun der Anfänger beginnen?
Meine persönliche Empfehlung (Erfahrung + Wissen) lautet: Starten Sie mit einer Festbrennweite, beispielsweise einem 50mm an Vollformat bzw. 35mm an APS-C. Für MFT-Sensoren entspräche das einen 23mm-Objektiv.
Diese sind recht günstig zu erwerben und jeder Hersteller verfügt über eine große Auswahl an lichtstarken Anfangsblenden. Für Vollformat empfehle ich f/2.8 zum Einstieg, für APS-C und MFT bestenfalls eine f/1.8, maximal eine f/1.4. 
Wer sich für eine wettergeschützte Kamera entscheidet, sollte auch beim Objektivkauf auf die entsprechenden Abdichtungen achten. Ansonsten ergibt der Wetterschutz des Kamera-Bodys in Verbindung mit dem nicht wettergeschützten Objektiv keinen Sinn. Allerdings sind solche Objektive mit der Bezeichnung WR (Water Resistant) auch gleich wieder etwas teurer. Aber es lohnt sich, denn der nächste Regenschauer lauert schon auf seinen Einsatz.

50mm Brennweite haben für den Anfänger einige Vorteile aufzuweisen. 
1. Sie entsprechen in etwas dem Sehfeld des menschlichen Auges (ca. 53°), bedeutet "WYSIWYG - what you see is what you get".
2. Der Zoom verführt zum "Festkleben" am Standort. Dabei gibt es soviel bei einem Motiv zu entdecken. Etwas weiter weg, etwas näher dran und schon ändert sich die Bildwirkung. Der Zoom "per pedes" führt zu einer bewussteren Wahrnehmung der Umwelt und damit zu einer besseren Fotografie.
3. Festbrennweiten sind relativ günstiger als Zoom-Objektive. V.a. lohnt es sich zu Beginn, auf sogenanntes "Altglas" zurückzugreifen. Das sind Objektive älterer Bauart, die für analoge Spiegelreflexkameras konstruiert wurden. Sie sind qualitativ hochwertig, entfalten an modernen DSLM einen besonderen Look und sind im Regelfall manuell zu fokussieren. Mit etwas Übung geht das manuelle Fokussieren zügig von der Hand und erlaubt viele Möglichkeiten der Freistellungen.
Solche Objektive sind z.B das Asahi Takumar 55mm f/2.0, das schon fast legendäre Helios 44-2 58mm f/2.0 oder das Minolta Rokkor 50mm f/1.4. Diese Objektive kosten bei gut erhaltenen und gepflegten Exemplaren zwischen 80 und 200 Euro. Da kann man nicht viel falsch machen. Adapter für die verschiedenen Bajonette (meist kommt dabei das M42-Gewinde zum Einsatz) gibt es bereits ab ca. 30 Euro.
Jedoch sollten Sie - sofern Sie einen solche Kauf beabsichtigen - ein wenig im Internet recherchieren. Von den Asahi Takumaren gibt es verschiedene Modelle, von denen nicht alle gut sind, da sie wie die Helios aus der KMZ-Produktion, über einen längeren Zeitraum in immer neuen Ausführungen hergestellt wurden. So gibt es gerade beim Helios 44-2 inzwischen ca. ein Dutzend verschiedene Bauarten, von denen eigentlich nur eine, nämlich das Helios 44-2 M aus der KMZ-Manufaktur (USSSR). Andere Modelle haben teilweise deutlich schlechtere Optiken und eine schlechte Verarbeitung im Gewindebereich, so dass diese selbst nach dem festen Verschrauben wackeln oder die Blenden- sowie Fokussiereinheit extrem schwergängig sind, weil das Fett, welches zur Schmierung der Mechanik in den Objektiven zum Einsatz kam, zwischenzeitlich verharzt ist.
Also ist eine gewisse Vorsicht beim Kauf geboten. Aber vielleicht haben Sie einen guten Freund oder einen Experten an Ihrer Seite, der Ihnen bei Ihrem ersten Kauf behilflich ist. Fotografieren ist sowieso nichts für ungeduldige Menschen. So lernen Sie gleich beim Objektivkauf, sich in Geduld zu fassen. Ein großer Vorteil dieser Altgläser ist, dass Sie durchweg für das 35mm Kleinbildformat gerechnet wurden, also sowohl an einer Vollformat- wie auch an einer APS-C-Kamera gleichermaßen eingesetzt werden können. Sie müssen nur beachten, dass 50mm Brennweite eines solchen Objektivs an einer APS-C-Kamera ca. 75mm Brennweite entsprechen. Damit liegen Sie schon im Telebereich und sollten besser nach 35mm Brennweiten Ausschau halten. Minolta und Meyer-Görlitz sind hierbei stark vertreten.

Um den Fortbestand Ihrer Fotografie zu sichern, benötigen Sie - auch wenn das leider häufig verschwiegen wird - viel Geld. Nicht für neue Kamerabodys. Diese entwickeln sich zwar ständig weiter, aber die Neuerungen sind marginal und für Sie als "Immer-noch-Anfänger" weitestgehend unbedeutend. Vor allem brauchen Sie viel Geld für bessere Objektive. Denn da sind sich alle Experten einig: Das A&O der Fotografie ist das Objektiv. Die beste Kamera nutzt Ihnen nichts, wenn Sie ein schlechtes Objektiv verwenden. Dagegen können Sie mit einem herausragenden Objektiv aus einer mittelmäßigen Kamera noch einiges herausholen.

Es kommt darauf an
Entscheidend dabei ist der Fotografiebereich, in dem Sie künftig unterwegs sein werden. Wollen Sie überwiegend Wildlife fotografieren, wird es richtig teuer. So kostet Sie ein Nikon Nikkor Z 28-400mm f4.0-8.0 VR ca. 1.600 Euro. 
Bei Canon sind Sie mit einem RF 400mm 2.8 L IS USM - ein für diesen Brennweitenbereich sehr lichtstarkem Objektiv - für rd. 12.600 Euro dabei (Sonderangebot). Deutlich günstiger geht es hierbei im APS-C- oder MFT-Bereich. Durch den Cropfaktor bei MFT von 2.0 entspricht eine Brennweite von 200mm ca. 400mm. Das erlaubt eine wesentlich günstigere Bauweise. So bekommen Sie ein OM SYSTEM M.Zuiko Digital ED 150-600mm, was 1200mm am langen Ende entspricht, für unter 2.500 Euro.
Also besser nicht Wildlife. Streetphotography ist auch sehr nett. Da geht es deutlich günstiger. Ein AF 23 mm F/1.4 E für Sony E-Mount kostet Sie "nur" 299 Euro - ein Schnäppchen. Und auch an die Kamera stellt die Streetphotography keine gehobenen Ansprüche.

So erfordert jedes Segment seine eigenen Objektive - die Kamera spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Mein Tipp
Kaufen Sie zunächst keine Objektive mit Blendenzahlen unter f/1.4. Der Schärfebereich ist so schmal, dass Sie wenig Freude daran haben werden - zumindest zu Beginn Ihrer Fotografie nicht. Bokeh wird bisweilen überschätzt. Ein schönes, weiches Bokeh ist toll. Aber konzentrieren Sie sich zu Beginn mehr auf die Motivwahl, auf die Regeln der Fotografie und darauf, dass Sie Ihre Kamera im Schlaf bedienen können. Und vergessen Sie die Bildbearbeitung nicht. Auch diese ist ein Teil der Fotografie. Investieren Sie in Objektive, nicht in Kameras. Objektive haben Sie unter Umständen ein Leben lang. Kameras haben meist nach drei bis vier Jahren ausgedient - zumindest, wenn es um Autofokus-Systeme, Serienbildgeschwindigkeiten und andere technische Finessen geht.
Legen Sie sich nach und nach einige Festbrennweiten zu. Beginnen Sie mit der 50er, dem 35er einem 23er und zu guter Letzt einem 85er. Damit sind Sie gut ausgestattet und für (fast) alle Fälle gerüstet. Berücksichtigen Sie bitte, dass ich hier vom Vollformatäquivalent schreibe und Sie die Brennweiten entsprechend umrechnen müssen. APS-C dividiert durch 1,5 und MFT dividiert durch 2. Und wenn Sie dann in den Urlaub fahren und noch ein wenig Geld übrig ist, investieren Sie das in ein Allrounder-Zoom, beispielsweise von Tamron mit einer 18-300mm Brennweite. Dann sind für alle Situationen, die Ihnen während Ihrer Urlaubsreise begegnen, bereit.
Sie müssen auch nicht unbedingt native Objektive kaufen. Die sind zwar in der Regel von einer sehr guten Qualität und wurden speziell für Ihre Kamera entwickelt. Aber auch Hersteller wie Viltrox oder TTArtisan schlafen nicht und sind mittlerweile den nativen Objektiven teilweise sogar überlegen. Zumindest ist der Unterschied deutlich geringer, als der Preis vermuten lässt.

Sollten Sie Beratung wünschen, dürfen Sie mir gerne schreiben. Ich helfe Ihnen, sofern das in meiner Kompetenz liegt. Und wenn es meine Kompetenz überschreitet, kenne ich garantiert jemanden, der es weiß.

©2024 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

Neunzehn58

von Jürgen Pagel 06 Mai, 2024
Jeder Fotograf kennt Phasen, in denen man seine Kamera am liebsten in irgendeiner verstauben lassen möchte. Frust baut sich auf, die Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt.
05 Mai, 2024
Warum ein Wasserzeichen bzw. eine Signatur? Grundsätzlich ist jede Fotografie urheberrechtlich geschützt. Daran ändert auch ein Verkauf des Bildes nichts. Das Urheberrecht verbleibt beim Eigentümer, dem Ersteller der Fotografie. Wird das Bild gegen den Willen (außerhalb eines Vertragswerkes) des Eigentümers verwendet, stellt dies einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar. Der Rechteinhaber ist somit berechtigt, einen Schadensersatz geltend zu machen. Die Spanne liegt nach geltender Rechtsprechung zwischen 50-375 Euro pro Bild - je nachdem, ob das Bild gewerblich genutzt wurde oder lediglich der Urheber nicht genannt worden ist. Allerdings handelt es sich in der Rechtsprechung jeweils um Einzelfälle. Eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall vorzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Bild durch eine Signatur geschützt wurde oder nicht, denn dieser Umstand ändert nichts am Urheberrecht.
von Jürgen Pagel 29 Apr., 2024
Folgende beiden Aussagen finden sich im Netz und hört man in diversen Workshops immer wieder mit der sicherlich guten Absicht, einem Anfänger den Spaß an der Fotografie nicht zu vermiesen. Aber stimmt das wirklich oder ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft lautet die Antwort des vielzitierten Radio Eriwan*): „Im Prinzip ja. Aber es kommt darauf an …“. Auf was es ankommt und unter welchen Voraussetzungen diese „Weisheiten“ eine unbefriedigende Antwort darstellen, möchte ich dem nachfolgenden Beitrag erläutern.
von Jürgen Pagel 23 Apr., 2024
Die Darstellung des Hintergrundes wird maßgeblich durch die Brennweite beeinflusst. Bei gleicher Blende (hier f/2.8), die für Schärfentiefe verantwortlich ist, verändert sich die Bildwirkung bei verschiedenen Brennweiten maßgeblich.
von Jürgen Pagel 22 Apr., 2024
Ich bin mir bewusst, dass dies ein langer Text ist und viele das nicht gerne lesen. Aber keiner kann sagen „Das habe ich nicht gewusst“. Ich bin auch kein Freund von Aussagen wie „dieses Objektiv musst Du haben“ oder „das ist das Beste“ oder „kaufe diese Kamera oder keine“. Das ist alles sehr vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und bedarf sorgfältiger Überlegungen, um nicht in die Kostenfalle zu tappen oder dem G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) zu verfallen.
von Jürgen Pagel 21 Apr., 2024
Food-Fotografie ist kein Hexenwerk. Jedem können großartige Food-Fotos gelingen. Statt mehrere Flat-Lays zu kaufen – diese sind im Verbund teuer (ca. 400 Euro für 5-8 Stück), reicht auch eine Tischlerplatte, die entsprechend lackiert werden kann. Anleitungen dazu finden sich im Internet. Abschatter und Reflektoren gehören zur Ausrüstung eines jeden Fotografen. Und wer sich an das Blitzen nicht herantraut, fotografiert mit Tageslicht. Der Einstieg ist einfach. Mit der nötigen Übung und immer besser werdenden Ergebnissen kommt die Professionalität.
von Jürgen Pagel 17 Apr., 2024
Im Prinzip gilt ein allgemeines Betretungsrecht der freien Landschaft. Doch das bedeutet nicht, man darf überall und jederzeit herumspazieren. So sind Naturschutzgebiete ebenso tabu wie dauerhaft genutzte Flächen, etwa Weinberge oder Obstkulturen. Das heißt, sie dürfen nur auf Wegen betreten werden. Felder, Wiesen und Weiden sind tabu, wenn sie in einer Nutzung sind. Das heißt, zwischen Aussaat und Ernte beziehungsweise bis zur Mahd hat außer dem Landwirt niemand etwas auf den Flächen zu suchen. Das gilt auch, wenn kein Zaun und kein Schild extra darauf hinweisen. Auch gilt – das ist in den Landesverordnungen geregelt – in der Brut- und Setzzeit eine Leinenpflicht für Hunde.
von Jürgen Pagel 11 Apr., 2024
Spontan ist prima. Spontan ist spannend. Aber selbst spontane Fotos bedürfen in der Kamera einer gewissen Grundeinstellung, damit es schnell geht, wenn es darauf ankommt.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
Aus "Lichtwerk.Design" wird Neunzehn58. Dieser ungewöhnliche Name hat mein Geburtsjahr als Hintergrund und findet im Internet in diesem Zusammenhang keine Verwendung - außer als Domain für den Relaunch. Das ist gut so. Nicht so gut waren häufige Verwechslungen mit dem Namen Lichtwerk.Design, den sich offensichtlich viele zu eigen gemacht haben. Meine Homepage ist (aus technischen Gründen) weiterhin auch unter https://lichtwerk.design erreichbar. Neunzehn58 wird auf diese Page weitergeleitet, so dass Sie mit beiden Webadressen zum gleichen Ziel kommen.
von Jürgen Pagel 09 Apr., 2024
… so ein paar Dinge, die müssen einfach raus. Ihr kennt das, oder? Was mir in der letzten Zeit in der Fotografieszene echt auf den Zeiger geht (inspiriert von Cliff Kapatais).
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